Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Gefühle die Ausführung eines Auftrages erschwert.
Als der Fremde und der Arzt nach geraumer Zeit endlich wieder aus dem Haus traten und sich im Nieselregen verloren, schlich er sich klopfenden Herzens noch einmal ins studiolo . Den Grafen fand er Gott sei Dank tot vor, was ihn der unangenehmen Pflicht enthob, letzte Hand anzulegen. Doch so seltsam es schien, es war ihm unangenehm, sich mit der Leiche des Ketzers in einem Zimmer zu befinden. Aber es half nichts, er musste den Ring finden. Er befühlte die Kleidung des Toten, suchte auf dem Boden und durchwühlte den Schreibtisch. Den Ring entdeckte er nirgends. Er wagte es kaum zu denken, aber es kam keine andere Lösung in Betracht als die, dass der Fremde den Ring an sich genommen hatte!
Im gleichen Augenblick, in dem ihn dieser Verdacht durchfuhr, drang der Klang von Schritten und Stimmen an sein Ohr. Er saß in der Falle und ärgerte sich, weil er als Sekretär des Grafen außer einem kleinen Messer keine Waffen bei sich führte. Er kannte das Zimmer zu gut, um nach einem Versteck zu suchen – es gab keines. Nur den Tisch, Stühle, Regale und den schwarzen Schrank, der vollgestopft war mit seltenen Handschriften und Schreibutensilien wie Federn, Tinte und Pergamentbögen.
Die Schritte knarrten auf den Dielen vor dem Raum, in dem er sich befand. In weniger als einer Minute würden die Männer vor ihm stehen. Das Einzige, was ihm blieb, war, ihnen an die Gurgel zu gehen, wenn sie das Zimmer betraten, und darauf zu setzen, dass sie zu überrascht waren, um sich zu wehren. Giacomo spürte weder Angst noch Bedauern, empfand er doch sein Leben lediglich als Galgenfrist. Er schickte ein kleines Gebet zum Himmel, besann sich aber plötzlich, riss, einer jähen Eingebung folgend, das Fenster auf und kletterte auf den Sims, wo ihm Wind und Regen wie ein feuchter Lappen ins Gesicht schlugen. Vielleicht konnte die Flucht ja doch noch glücken!
»Da ist der Schurke!«, hörte er einen Mann hinter sich brüllen. Giacomo il Catalano wagte nicht, sich umzusehen. Er hatte vollauf damit zu tun, nicht von dem feuchten Mauerrand abzurutschen.
»Bleib stehen, du Schuft!«, schrie der Mann. »Ich krieg dich ja doch!«
Ein Ächzen verriet Giacomo, dass der Bullige hinter ihm aus dem Fenster geklettert war und ihn verfolgte. Als er den Fuß auf die eine Elle breite Mauer setzte, die Picos Hinterhof von dem des linken Nachbarn schied, überlegte er kurz, ob er zum angrenzenden Grundstück hinüberspringen sollte, verwarf den Gedanken aber sogleich. Falls die Begleiter seines Verfolgers ihn vom Fenster aus beobachteten, konnten sie rasch zum Nebenhaus laufen und ihm den Fluchtweg abschneiden. Besser war es, über die Mauer in den Hof gegenüber zu gelangen. Der Weg um das ganze Häuserkarree herum wäre zu lang, als dass ihn die Verfolger noch stellen konnten. Das Aufeinandertreffen seiner ledernen Sohlen und des feuchten Mooses, das die Mauer bedeckte, war allerdings eine halsbrecherische Angelegenheit. Giacomo legte sein Geschick in Gottes Hand und setzte behutsam Fuß vor Fuß. Als er das Ende der Mauer erreicht hatte, dankte er seinem Schöpfer, dass er bei dem riskanten Unternehmen nicht abgerutscht war, und ließ sich erleichtert an einer Säule herab. Sie kam ihm seltsam deplatziert vor, wie sie da verloren an der rückwärtigen Mauer des Hofes stand, als seien einmal mehrere Säulen für ein kleines Gartenhaus geplant gewesen, das aber nie zur Ausführung gelangt war.
Giacomo rannte über den Hof, riss die Hintertür des kleinen Hauses auf und stürmte in den Flur. Rechts von ihm befand sich die Treppe zum piano nobile . Links lagen die Kammern der Dienstboten und die Wirtschaftsräume. Durch eine offen stehende Tür sah er, dass in dem Raum Plünderer am Werk waren. Sie schraken kurz hoch, als sie ihn erblickten, wühlten und rafften dann aber weiter, weil er sich nicht um sie kümmerte.
Plötzlich spürte er, wie zwei starke Hände von hinten seine Schultern umklammerten. Sein Verfolger war schneller, als er gedacht hatte. Nun würde es also doch noch zum Kampf kommen. Wenn der Mann sein Antlitz sähe, würde er ihn töten müssen.
6
Florenz, Anno Domini 1494
Mit einem entschlossenen Sprung hatte Bramante den vermeintlichen Mörder Picos von hinten an den Schultern zu fassen bekommen. Der Unbekannte wirkte grazil, fast feminin, war aber erstaunlich kräftig. Ein Engel, ein Todesengel, durchfuhr es Bramante. Das Blut pochte in seinen Adern, und er keuchte vor
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