Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Sicher unterschied er sich darin nicht von den anderen römischen Bauunternehmern, aber Michelangelo hatte an ihm ein Exempel statuieren wollen, weil Arnoldo di Maffeo der Schlimmste von allen war. Michelangelos Plan war einfach: Besiegte er Arnoldo, würden die anderen sich aus Angst zuverlässiger und gefügiger zeigen.
Der Schlamm spritzte unter den Hufen des Pferdes auf, als Vasari über den von ärmlichen zweigeschossigen Häusern gesäumten Platz vor Michelangelos Haus ritt. Das fahle Grau der Dämmerung erschien ihm wie ein Ausdruck der ganzen Trostlosigkeit dieses Ortes. Von dem Platz aus stieß er direkt auf eine der großen Straßen Roms, über die traditionell der in der Capella Sistina gewählte und im Petersdom gekrönte Papst feierlich quer durch Rom zum Lateran zog, um seine Bischofskirche San Giovanni mit einer feierlichen Messe in Besitz zu nehmen.
Vasari schickte ein kurzes Dankgebet an jene, die diese Straße geplant und gebaut hatten – durch die kleinen Gassen von Regola und Parione hätte er doppelt so viel Zeit gebraucht, um den Petersdom zu erreichen. Schließlich passierte er die Piazza Agionale, die sich unmittelbar vor dem Tiber ausbreitete. Dann tauchten die Brücke und das mächtige Bollwerk der Engelsburg vor ihm auf, und er überquerte den Ponte Sant’Angelo. Frostiger Wind fegte in Böen über die Brücke und stach mit tausend Degenspitzen durch seine Kleidung. Es hatte zu regnen begonnen. Endlich langte er an der Vorderfront von Alt Sankt Peter an.
Der Blick des Architekten streifte das zweigeschossige Gebäude, das sich majestätisch über den drei Portalen erhob und solide, aber langweilig, wie Vasari fand, gen Himmel strebte. Auf der linken Seite leitete ein dreigeschossiger Säulenbau mit der Benediktionsloggia des Papstes zum Vatikanpalast über. Den großen Brunnen, dessen Fontäne die Römer nur im Frühling, Sommer und Herbst mit ihrem Wasserspiel erfreute und erfrischte, hatte er bereits rechts liegen lassen.
Er sprang vom Pferd, band es hastig an einem Eisenring in der Mauer fest und stürmte die vier Treppenpodeste mit ihren jeweils sieben Stufen hinauf. Dann durchquerte er im Laufschritt den leeren Vorplatz und eilte durch das mittlere Portal in den geräumigen Innenhof der alten Basilika, den ein großzügiger Kreuzgang umgab. Dieser Ort schlug ihn wie immer in seinen Bann, und einen Atemzug lang gestattete er sich innezuhalten. In der Mitte des Hofes leuchtete wie reines Gold der große Pinienapfel aus Bronze. Rechts erhob sich die steile Fassade des päpstlichen Palastes, während sich hinter der Mauer linker Hand die Wohnstätte der Priester befand. Über den sechs Portalen der Basilika prangten kunstvolle Fresken, vor allem aber Giottos prächtiges Mosaik von der Schifffahrt, die »Navicella«. Die Jünger saßen im Boot auf dem See Genezareth und ängstigten sich. Vasari hatte das verehrungswürdige Mosaik schon oft gesehen, doch heute schien es ihn mahnen zu wollen. Nach seinem zweitätigen Höllenritt von Florenz nach Rom war er wohl empfänglicher für Warnungen vor den Gefahren der Reise.
An der Porta Santa, die selbstverständlich verschlossen war, eilte er unter den Bögen des Kreuzganges durch die Porta Ravenniana, der nach Ravenna schauenden Pforte, in die Ruine der Basilika, die sich wie ein hinfälliger Greis an die mächtige Vierung des entstehenden Neubaus lehnte. Es zog erbärmlich, und die Böen schossen durchs Gemäuer, denn die Fenster waren zerbrochen, in den Mauern klafften Lücken, und es fehlte die eigentliche Kuppel, sodass es hereinregnete. Den Westchor verdeckend, kauerte geradezu ehrfürchtig zwischen den mächtigen Kuppelpfeilern das Gebäude mit dem Tympanon, in dem sich der Altar über dem Petrusgrab befand. Vor dem Tegurium, so nannte man die Schutzhütte über dem Grab des Apostels, entdeckte Vasari Michelangelo.
Wie ein Fels stand er da, imposant, aber verloren in dem riesigen und wüsten Raum des entstehenden Domes, mitten im kalten Regen, ohne Hut. Über der Hose und dem weißen Hemd trug er nur einen langen zerschlissenen Mantel. Wie ein gerupfter Moses, dachte Vasari. Neben ihm stand Daniele da Volterra und redete voller Eifer auf ihn ein. Vasari konnte Daniele zwar nicht verstehen, aber es war mehr als deutlich, dass er Michelangelo überzeugen wollte, nach Hause zurückzukehren. Dieser hörte ihm aber überhaupt nicht zu, er wirkte aufs Höchste erregt und schien vollkommen außer sich zu sein. Als Vasari sich den beiden
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