Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
näherte, konnte er die Worte verstehen.
»Wo sind sie?«, schrie Michelangelo mit zornbebender Stimme. »Wo ist das Gesindel, das der hoch zu verehrende Herr Papst in seiner übermenschlichen Güte bezahlt? Kein Mensch ist auf der Baustelle. Oh, diese verfluchten Bauunternehmer! Tagediebe und Spitzbuben allesamt! Dreckshunde! Wollte dieser elende Arnoldo di Maffeo mich nicht sehen? Hat er mich nicht herbestellt? Wo ist der Teufel?«
Vasari wollte Michelangelo schon begrüßen, da drangen drei Gestalten mit gezogenen Rapieren aus dem Allerheiligsten, in dem sie sich offensichtlich verborgen hatten. Bravi , gedungene Mörder, dachte Daniele entsetzt und wich vor Schreck ein paar Schritte zurück. Nicht so Michelangelo. Einmal in Fahrt gekommen, ging er mit fuchtelnden Armen auf die Meuchelmörder zu.
» Andate al diavolo , packt euch zum Teufel!«, fuhr er sie an. »Was habt ihr auf meiner Baustelle zu suchen? Dies ist das Haus des Herrn, nicht des Satans! Vertreiben will ich euch, wie einst Jesus die Wechsler aus dem Tempel gejagt hat. Wartet, ich werde euch schon Demut lehren!«
Vasari riss sein Rapier heraus, um den alten Meister zu schützen, hielt aber inne, als ein Priester aus dem Tegurium trat. Mit seinem ebenmäßigen Gesicht, der hohen, schönen Stirn, dem lockigen schwarzen Haar und dem gepflegten Vollbart flößte er auf den ersten Blick Vertrauen ein. Der Mann wirkte weder asketisch noch gierig, eher erinnerte er an einen Wissenschaftler, der sich mit der Naturphilosophie auseinandersetzte, mit Mathematik oder Physik, neugierig, arbeitsam, im besten Sinne normal. Es sah nicht aus, als widme er sich metaphysischen Spekulationen.
»Es ist Gottes Baustelle, nicht die deine, Michelangelo!«, sagte der Geistliche leise, aber bestimmt. Sein Akzent verriet den Neapolitaner.
»Ah, die heilige Inquisition! Wollt Ihr etwa ein Feuer anzünden, dass wir uns daran erwärmen können bei dem Mistwetter?«, rief Michelangelo.
»Wir können es nicht länger dulden, dass du Gottes alte und ehrwürdige Kirche zu einem Ketzertempel erniedrigst«, erwiderte der Inquisitor.
»Dann ist der hoch zu verehrende Herr Pius auch ein Häretiker, und nur du weißt die Wahrheit. Geh zum Papst, Santori. Sag ihm ins Gesicht, dass er ein Ketzer ist und statt auf den Stuhl Petri auf den Scheiterhaufen gehört. Sag’s ihm!«
Vasari zitterte am ganzen Körper, denn Michelangelo hatte in seinem Jähzorn jegliche Vorsicht fahren lassen. Mit Giulio Antonio Santori durfte man nicht spaßen. Noch viel weniger ratsam war es, ihn sich zum Feind zu machen. Sein Ruf als fleißigster Mitarbeiter der Suprema , der Inquisition, eilte dem Aktenmenschen, der über alles und jeden Buch führte, weit voraus. Außerdem übertraf die Rachsucht des Glaubenswächters sogar seine Liebe zu Gott. Dieser Mann vergaß und vergab nichts, auch wenn er seinen Hass selten zeigte.
»Ja, es ist eine Schande. Nicht einmal der Papst wagt es, Euch anzurühren. Warum nur?«, sagte Santori.
»Weil Seine Heiligkeit Pius IV. etwas von Kunst versteht, von der Architektur, von der Sprache Gottes, du Schwachkopf«, fauchte Michelangelo.
»Schon für diese Lästerung verdient Ihr zu brennen«, erklärte Santori so ruhig, als doziere er in einem Seminar. Mit einem leisen Triumph in der Stimme fuhr er fort: »Aber auch wenn der Papst die Hand über Euch hält, so hält er sie doch nicht vor Euch.«
Während er die Drohung so selbstverständlich aussprach, als habe er eine Beweisführung abgeschlossen, machte er den bravi ein Zeichen. Daniele war immer noch zur Salzsäule erstarrt, unfähig, auch nur das Geringste zu unternehmen. Vasari wollte dem Göttlichen zu Hilfe eilen, doch zwei der Schergen traten ihm in den Weg und hielten ihn mit ihren Klingen in Schach, während der dritte, der dem unbewaffneten Michelangelo am nächsten stand, zustach. Kalt, ohne Ehrerbietung, eine böse Marionette der Macht, wie es so viele gab.
Michelagniolo di Ludovico di Leonardo di BuonarrotiSimoni brach zusammen, und für Vasari stürzte in diesem Augenblick der Himmel ein. Santori wandte sich mit unbewegter Miene ab und verließ, gefolgt von seinen Schergen, den Dom.
Obwohl er vor Entsetzen und Kummer kaum bei Sinnen war, hatte Vasari beobachtet, dass Santori nicht das Kreuz geschlagen und damit Michelangelo den Segen verweigert hatte, den ein Priester nicht einmal dem größten Verbrecher im Angesicht des Todes vorenthält. Mit Entsetzen erkannte er das ganze Ausmaß des heimlichen
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