Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
eigentümlichen Umgang pflegte. Die Mailänder Hofgesellschaft bildete eine viel besprochene Insel im ansonsten recht eintönigen Bürgerleben der Stadt.
Das gewaltige Bauwerk, dem sein ganzer Ehrgeiz galt, hatte Bramante aber noch nicht errichtet. Sein solider Erfolg stand seinem – im Vergleich zu Leonardos Ansehen geradezu zwergenhaften – Ruhm unvorteilhaft gegenüber. Dabei hatte er inzwischen ein Alter erreicht, in dem andere bereits auf ein erfülltes Leben und Werk zurückblickten. Es war also eine gewisse Eile, die ihn in geheimer Mission nach Ravenna trieb, die alte Hafenstadt an der Adria, die einmal die letzte Hauptstadt des Römischen Reiches gewesen war. Hier wollte er endlich den ersehnten großen Ruhm erlangen.
Die Stadt faszinierte ihn auch, weil sie von einem Nebel uralter mythischer Geschichten umgeben war. Zwischen Mailand und Ravenna bestand schon seit frühchristlicher Zeit ein scharfer Gegensatz. Mailand galt als Hauptstadt des Westens, Ravenna als Brückenkopf des Ostens, über den die arianische Ketzerei von Byzanz nach Italien gedrungen war. Noch heute, so erfuhr Bramante hinter vorgehaltener Hand, konnte man in Ravenna eine arianische Kapelle aufsuchen, mit einem nackten Christus, an dem sogar der Penis zu bewundern war. Er hoffte, dass es ihm gelänge, das alte Baptisterium und Christi Schwanz persönlich in Augenschein zu nehmen. Obwohl er keinerlei Sympathie für die Häresie hegte – wie übrigens auch nicht für die Orthodoxie –, erregte die Darstellung dieses Genitals die Neugier des Kenners.
Als Bramante nun durch die engen Gassen von Ravenna ritt, blickte er sich aus Sorge, verfolgt zu werden, mehrmals um. An der Kleidung der Menschen erkannte er aber, dass er weit und breit der einzige Fremde war. In der ockerfarbenen Sonne des späten Nachmittags wirkte alles vollkommen friedlich und harmonisch. Er dachte kurz daran, sich auf einer Bank am Marktplatz niederzulassen und auszuruhen. Doch sein knurrender Magen und der Gedanke an ein üppiges Mahl trieben ihn weiter, und so fragte er sich zur Herberge »Zum tatkräftigen Hiram« durch. Endlich erreichte er das einstöckige Gebäude von Girolamos Gasthof. Es verfügte über einen Pferdestall, wo Bramante den Braunen einem alten Pferdeknecht übergab. Dann betrat er den Gasthof, der einfach, aber reinlich wirkte. Über dem Eingang des Hauses befand sich eine Rosette. Das Licht, das durch sie in den Raum fiel, malte ein vielfarbiges Muster auf den Boden. Rosetten, dachte Bramante, gibt es doch nur in Kirchen. Verwundert sah er sich um. Die Rosette war nicht groß, dennoch erstaunlich. Der Wirt, ein kleiner, lebendiger Mann, der ihn schon eine Weile beobachtet hatte, räusperte sich.
»Schön«, brummte Bramante anerkennend und riss sich vom Anblick der Rosette los.
»Wie kann ich Euch helfen, Messèr?«, fragte der Wirt und musterte den Fremden misstrauisch.
»Ich bin Donato Bramante. Man hat mich angekündigt.«
Die Miene des Wirtes zeigte keine Regung. »Und was hat Euch nach Ravenna verschlagen?«
Bramante wusste, dass er eine bestimmte Antwort geben musste. »Die Suche nach dem Stein, den die Baumeister verworfen haben«, sagte er und versuchte, ein Lächeln zu verbergen.
»Wodurch könnte der nach so langer Zeit gefunden werden?«, fragte der Wirt.
»Nur durch Liebe«, entgegnete Bramante und bemühte sich sehr, seinem Gesicht ein ernstes Aussehen zu verleihen, damit sein Gegenüber nicht all die körperlichen Vorstellungen bemerkte, die ihm bei dem Wort »Liebe« durch den Kopf huschten. Es gelang ihm leidlich.
Augenblicklich taute der Wirt auf. Er senkte den Kopf und sagte ehrfürchtig: »Girolamo di Leone. Verfügt über mich, Maestro.«
Ein Marrano , ein getaufter Jude also, stellte Bramante fest. Der Konvertit nahm ihm das Gepäck ab, rief seinen Hausdiener herbei und hieß ihn, das Gepäck des Architekten auf das Zimmer im ersten Stock zu bringen, das bereits für ihn hergerichtet war. Derweil führte er den Gast an einen Tisch in der Wirtsstube und erkundigte sich nach den Beschwernissen der Reise. An den anderen Tischen saßen ein paar Männer bei der Mahlzeit. Bramante stöhnte, als der appetitliche Duft aus den Tellern und Schüsseln in seine Nase drang. Girolamo gab ihm zu verstehen, dass von den Männer keine Gefahr ausging, und ließ seinem sichtlich erschöpften und hungrigen Gast zügig ein üppiges Mahl vorsetzen: Pasta mit Tintenfischen, als Hauptgang bollito misto , heiß, dampfend und fett und
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