Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
Hasses, der Santoris Herz versengte.
Daniele, der sich endlich aus seiner Schreckensstarre gelöst hatte, kniete neben dem Verwundeten. Michelangelo rührte sich und bewegte seine Hand langsam zur Wunde. Erstaunen und Erschöpfung mischten sich in seinem Blick, als er flüsternd hervorbrachte: »Blut! Sie haben es wirklich gewagt. Die Inquisition hat es wirklich gewagt. Nun ist niemand mehr sicher vor ihnen … auch nicht der Papst.«
Rasch zog Daniele sein Hemd aus, das er unter dem Wams trug, riss es in Streifen und verband Michelangelos Wunde notdürftig. Dann wickelten sie ihn in Vasaris warmen Mantel. Michelangelos Lippen bewegten sich leicht, es war wenig mehr als ein Zittern. Giorgio brachte sein Ohr nah an den Mund des Meisters und glaubte, einen Namen zu verstehen: Bramante. Aber er hätte es nicht beschwören wollen. Aus welchem Grund, so fragte er sich, sollte Michelangelo ausgerechnet jetzt an Bramante denken, mit dem ihn eine lange Feindschaft verband? Er konnte ihn nicht fragen, weil der Verwundete vor Anstrengung eingenickt war. Sie sorgten sich, dass er zu viel Blut verlieren würde, wenn sie ihn auf das Pferd legten. Deshalb packte ihn Daniele unter den Armen, während Vasari dem Meister den Rücken zukehrte und dessen Oberschenkel umfasste. So trugen sie Michelangelo unter Bittgebeten nach Hause.
»Wenn der Herr nicht das Haus baut,
würden sich die, die es bauen, vergeblich mühen.
[…] Sie werden nicht zuschanden werden,
wenn sie mit ihren Feinden reden
im Tor.«
Als sie Michelangelo gemeinsam mit dem fassungslosen Francesco auf sein Lager gebettet hatten, sahen sich Giorgio Vasari und Daniele da Volterra mit Tränen in den Augen an. Für die beiden Männer war es, als drohe der Weltuntergang. Inständig hofften sie, dass Michelangelos Leben zu retten sei – noch atmete er, noch war ihre Welt nicht versunken.
Teil I –
Auf der Suche
nach Vollkommenheit
So schreibe alles, was du gesehen hast,
in ein Buch und bewahre es am verborgenen Ort;
und lehre es die Weisen deines Volkes,
von denen du sicher bist,
dass ihre Herzen diese Geheimnisse
fassen und bewahren können.
IV. Buch Esra, Fünftes Gesicht, Vers 37
1
Ravenna, Anno Domini 1492
Den Tag über ritt er wie der Teufel, abends aber rastete er so bequem, wie es irgend ging. Er schlemmte, trank und ließ sich von Dirnen oder Strichjungen, wie es sich gerade traf, den unerträglichen Druck aus den Samensträngen nehmen, als sei er Dionysos leibhaftig, bocksbeinig, mit roten Wangen, violetter Nasenspitze und einem enormen Schwanz. Der Baumeister Donato d’Angelo, genannt Il Bramante – der Begehrende oder auch der Vielfraß –, hätte selbst den Himmel entjungfert, wenn der nicht so weit oben gewesen wäre. Einige hielten ihn für begnadet, andere für ein Tier, was sich nicht unbedingt zu widersprechen brauchte.
Der Reisespiegel aus Murano zeigte ihm einen Mann von Mitte vierzig, untersetzt, in der animalischen Kraft, die er ausstrahlte, an einen Bullen erinnernd, mit einem großen und nur von grau melierten Fransen umkränzten Kopf auf dem kräftigen, aber kurzen Hals.
Von Mailand kommend, hatte Bramante das hügelige Gelände der Lombardei und den Norden der Emilia Romagna mit ihrer lieblichen Landschaft aus Feldern und Weinbergen passiert, immer den Duft von blühendem Lavendel und Rosmarin in der Nase. Eine gute Woche war er bereits unterwegs gewesen, als er am späten Nachmittag die alte Hafenstadt Ravenna erreichte.
Als Malergeselle war Bramante vor über fünfzehn Jahren mit ehrgeizigen Plänen und einer noch größeren Achtung vor seinen Talenten nach Mailand gekommen. Dort hatte er unter dem Schutz des Herzogs seine Leidenschaft für die Baukunst entdeckt. Pinsel, Farbe und Wände genügten seinem Schaffensdrang bald nicht mehr. Was er in die Welt zu setzen gedachte, waren gewaltige Gebäude, Paläste und Kathedralen. Und das Glück war ihm gewogen. Der Baumeister Giovanni Antonio Amadeo nahm ihn unter seine Fittiche, unterwies ihn in seiner Kunst, und der Herzog förderte ihn. An eine Heirat brauchte Bramante allerdings keinen Gedanken zu verschwenden, denn die Häuser der Mailänder Bürger blieben ihm verschlossen. Umso bereitwilliger öffneten die Tavernen und Bordelle dem genusssüchtigen Mann ihre Pforten. An Vergnügungen mangelte es ihm also nicht. Ebenso wenig an anspruchsvollen Freundschaften, denn seit ein paar Jahren lebte auch der Florentiner Leonardo da Vinci in der Stadt, mit dem er einen höchst
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