Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
steigen zum gewöhnlichen Volk herab«, höhnte er.
»Du jedenfalls wirst kein Bildhauer werden, und zeichnen kannst du auch nicht«, gab Michelangelo zurück.
Pietros Lächeln entglitt zu einer Fratze. Er stand auf und sein Körper straffte sich.
Michelangelo hörte Schritte hinter sich und wandte sich um. Zwischen ihrer Amme und einem kräftigen Hausburschen, von dessen Kopf ein safranfarbener Schleier bis auf die Schultern fiel, kam Contessina auf ihn zu. Er hätte sie unter Tausenden erkannt. Über einem schlichten weißen Kleid trug sie einen rosafarbenen, mit goldenen Sternen bestickten Mantel.
»Wollt Ihr so freundlich sein und mir die Bilder Masaccios kommentieren, Messèr Michelangelo?«, fragte sie, bemüht, ihre Stimme gelassen klingen zu lassen.
Bevor Michelangelo antworten konnte, stand Pietro schon neben ihm und stieß ihn so grob zur Seite, dass er ins Stolpern geriet.
»Vertraut Euch besser mir an, Madonna! Ich glaube, dass es hier keiner mit mir an Erfahrung und Wissen aufnehmen kann!«, sagte Pietro mit einer von einem zweideutigen Grinsen begleitenden Betonung auf dem Wort Erfahrung. Dann blickte er drohend in die Runde, um jeden Widerspruch zu unterbinden, und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass sich die anderen Bildhauerschüler wieder in ihre Zeichnungen vertieften. Er musterte Contessina mit schamlosen Blicken und kniff die Augen zusammen. Das soll wohl verführerisch wirken, dachte Michelangelo, der sich gefangen hatte und die Szene mit wachsendem Unbehagen beobachtete. Er zwang sich jedoch zum Abwarten, denn er durfte nicht riskieren, Contessina durch ein allzu eindeutiges Verhalten ins Gerede zu bringen.
»Seid Ihr nicht der Signore Hahn von neulich?«, wandte sich das Mädchen mit einem unschuldigen Lächeln an Pietro, der daraufhin feuerrot anlief.
»Ich erinnere mich immer noch daran, wie gut Ihr zu krähen verstandet! Wahrhaftig, an Aufgeblasenheit kann es niemand mit Euch aufnehmen, Messèr Hähnchen.«
»Und Ihr, Ihr gehört dem Geschlecht der Metze da an, Ihr alle!«, schrie Pietro, von Jähzorn übermannt, und wies mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Masaccios Gemälde, das die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies zeigte.
»Entschuldige dich bei ihr, Hundsfott!«, schrie Michelangelo außer sich und stieß den Älteren und Größeren mit beiden Fäusten vor die Brust.
»Hast du ›Hundsfott‹ gesagt?«, knurrte Pietro.
»Ja, was sonst?«
Im selben Augenblick vernahm Michelangelo gefährlich nahe an seinen Ohren ein unangenehmes Knirschen, dann spürte er ein Feuer mitten im Gesicht, das unmittelbar ins Gehirn schoss. Erst nach und nach brachte er das trockene Geräusch mit dem Schmerz in Verbindung. Pietro hatte ihm mit einem Faustschlag das Nasenbein gebrochen. Blut strömte über sein Gesicht, und er sank auf den Kirchenboden.
»Ich kann nicht malen? Pah! Eben habe ich dich so gezeichnet, dass du dich ein Leben lang an meine Handschrift erinnern wirst!«, schrie Pietro über ihm, außer sich vor Wut.
Michelangelo spürte nur noch, wie er zu schweben begann. Dann wurde es dunkel um ihn herum.
Als er die Augen wieder aufschlug, blickte er in Contessinas besorgtes Gesicht. Im ersten Moment glaubte er, sich im Himmel zu befinden oder zumindest in einem sehr schönen Traum, doch dann holte ihn der stechende Schmerz in seinem Kopf unverzüglich in die Wirklichkeit zurück. Er stöhnte auf, nicht nur wegen der pochenden Wunde im Gesicht, sondern auch vor Glück. Leises Gemurmel zeigte ihm, dass sich noch andere Personen in dem Raum aufhielten, in dem er lag. Doch für ihn zählte nur das Mädchen. Contessina liebte ihn, das wusste er nun. Tief und aufrichtig, ebenso wie er sie liebte.
»Könnt ihr uns wohl für einen Moment allein lassen?«, bat sie freundlich, aber mit der befehlsgewohnten Stimme einer Tochter Lorenzos des Prächtigen. Ein Diener, die Amme und der Arzt, ein kahlköpfiger Mann um die fünfzig mit mächtigem Doppelkinn, verließen das Zimmer. Michelangelo, der Contessina immerfort ansehen musste, bemerkte, dass zwei der goldenen Sterne auf ihrem Mantel rot eingefärbt waren, wie überhaupt das zarte Rosa des Stoffes dunkle Flecke aufwies. War das sein Blut? Hatte sie versucht, ihn aufzufangen, damit er nicht auf dem harten Kirchenboden aufschlug?
»Der Arzt hat deine Nase geschient«, sagte Contessina, als die Tür sich wieder geschlossen hatte. »Du wirst sie in der nächsten Zeit nicht überall hineinstecken können, weil du vorsichtig sein
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