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Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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diesen Ridolfini nehmen muss«, flüsterte Contessina »so möchte ich doch, dass du mein erster Mann bist.« Ein kaum hörbares »Bitte« vollendete den zwar leise, aber fast trotzig vorgetragenen Entschluss. Dann hob sie die Arme, und die Schleier glitten an ihrem Körper herunter. Ein leiser Duft nach Zimt und Sandelholz erfüllte den Raum.
    Michelangelo wich einen Schritt zurück und blickte zu Boden, weil er nicht wagte, sie anzusehen. Die Nacktheit der Dirnen, die er für ihren Bruder Giovanni gezeichnet hatte, war etwas anderes. Sie machte ihm nichts aus, war nur eine andere Art der Bekleidung. Contessina aber wollte er so nicht sehen. Sie war doch keine Hure, sondern eine Göttin, seine Göttin! Nicht das bloße Gefäß seines Samens. Ihm schwindelte. Was verlangte sie da von ihm? Er sollte ihre Liebe entweihen, indem er das Gleiche tat wie jeder Köter auf der Straße? Er sollte sie bespringen wie ein Bock? Abwehrend hob er die Hände und wandte den Kopf ab. Er wollte etwas sagen, brachte jedoch nur ein Röcheln hervor und wankte aus dem Zimmer. Unendlich lange, wie ihm schien, irrte er benommen durch die Flure des Palazzo.
    Plötzlich vernahm er einen lauten Lärm. Männer drangen in den Palazzo ein, Stiefel hallten in den Fluren wider, Schluchzen drang an sein Ohr, Fackeln loderten auf. Er konnte das Feuer riechen und hören. Das Holz krachte beim Brennen, und das Echo der berstenden Balken erfüllte die Luft. Michelangelo hatte nur einen Gedanken: Contessina!
    Seine innere Stimme peinigte ihn mit Vorwürfen, eine Anschuldigung schrecklicher und widersprüchlicher als die andere. Wie hatte er nur dem geliebten Mädchen den Abschied und den Wunsch verwehren können? Aber hätte er anderseits ihre Liebe entweihen dürfen? Seine Kehle war wie zugeschnürt, als er versuchte, den Weg zurück zu ihrem Zimmer zu finden. Er verirrte sich hoffnungslos und fand sich schließlich auf der großen Freitreppe wieder.
    Dort traf er auf Pico della Mirandola, der mit starrem Blick und wirrem Haar die Stufen hinuntertaumelte. Seine Kleidung befand sich in einer Unordnung, wie es wohl noch niemand je an ihm gesehen hatte – den Mantel schief über der Schulter, das halb geöffnete Hemd hing ihm aus der Hose. Plötzlich blieb der Graf stehen und blickte sich um, als suche er jemanden. Obwohl Michelangelo ihm gegenüberstand, schien er ihn nicht wahrzunehmen.
    »So erfüllt sich die Prophezeiung der Kabbala«, stammelte Pico. »Das Jahr 1492 wird das Jahr des Untergangs, wie es die jüdischen Weisen aus dem Buch Hiob errechnet haben.«
    Michelangelo verstand den Grafen nicht und ging ein paar Stufen auf ihn zu.
    »Er ist tot!«, rief Pico mit leeren Augen und versteinerter Miene. »Lorenzo il Magnifico lebt nicht mehr. Möge sich Gott seiner armen Seele erbarmen. Möge Gott sich unser erbarmen! Mit seinem Tod, der ihm nichts mehr anhaben kann, beginnen unsere Leiden!« Dann brach er in die Knie, und sein Oberkörper sank vornüber. Er weinte hemmungslos wie ein Kind und breitete die Arme aus, als suche er nach einem Halt.
    Entsetzt sah Michelangelo auf den gebrochenen Mann hinunter, der schluchzend auf den Stufen kauerte. Lorenzo de Medici hatte den vom Papst gebannten und von der Inquisition verfolgten Philosophen beschützt. Mit einem Mal begriff Michelangelo, dass es nicht die Angst um das eigene Leben war, die aus Picos heftiger Reaktion sprach, nicht die vorübergehende Trauer um einen geschätzten Menschen. Es war das Wissen, dass sich ihre Welt veränderte, dass nun die Stürme über sie hereinbrechen würden. Lorenzo war für sie alle ein Schutzschild gewesen. Was sollte aus ihnen werden, jetzt, da man sie ihres Patrons beraubt hatte?
    Michelangelo hörte Schritte hinter sich und wandte sich um. Oben auf der Treppe erschien Contessina. In ihren blicklosen Augen sah er keine Träne. Mit unbewegtem Gesicht stand sie da wie eine Statue. Und dann flammte er doch kurz auf in ihren Augen – der Vorwurf.

12

    Rom, Anno Domini 1505
    All die Jahre hatte er Contessinas Blick nicht vergessen können. Er fürchtete jene Momente, an denen ihn die Erinnerung an sie und an die Gefährten überkam. Viele der Fedeli waren längst tot, Landino, der Philosoph Ficino, der Dichter Poliziano und sein Freund Pico della Mirandola. Aus Contessina war inzwischen eine Gräfin Ridolfini, mehrfache Mutter und ehrbare Gattin geworden. Niemand wusste es, aber als er seine Pietà schuf, hatte Michelangelo sein ganzes Leid in den Schmerz auf dem

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