Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
musst.« Behutsam nahm sie seine Hand, die auf der spitzenbesetzten Bettdecke aus bernsteinfarbenem Samt lag. »Ach, mein Ritter, dieser Schuft hatte recht, er hat dich fürs ganze Leben gezeichnet, denn die Knorpel werden nicht mehr richtig zusammenwachsen. Deine Nase wird eingedrückt und klobig bleiben.«
»Stört dich das?«, brachte Michelangelo hervor und sah sie an.
»Nein, wie könnte es?«
»Dann stört es mich auch nicht, dann will ich meine zerschlagene Nase künftig wie eine Auszeichnung tragen!«
In den folgenden Wochen erfanden die beiden Liebenden immer neue Vorwände, um sich zu einem heimlichen Stelldichein treffen zu können. Bis zu dem Tag, an dem sich alles ändern sollte.
Es war später Nachmittag, als Michelangelo den Florentiner Dom betrat, um dort auf Contessina zu warten. In den vergangenen Tagen hatten sie sich bei Landino mit Vitruv beschäftigt. Contessina hatte Michelangelo aus dem Lateinischen übersetzt, was der römische Architekt zu den Rundtempeln, zu Kuppeln und Gewölben geschrieben hatte. Nach Vitruv musste der Bau von Gottes Häusern ebenso vollkommen sein wie der Kosmos, und es gab nichts Vollkommeneres als den Kreis. Michelangelo fühlte sich von diesen Gedanken angezogen, inzwischen glaubte er, dass sich die wahre Form der Kirche in einem Zentralbau unter einer Kuppel widerspiegele, die den Himmel symbolisierte. Landino bestärkte ihn mit der Bemerkung, dass Dante alle neun Himmel des Paradieses konzentrisch angeordnet hatte.
Am Tag zuvor hatte Michelangelo Contessina erklärt, dass Brunelleschis Kuppel einen zwar schönen, aber leider unvollkommenen Dom kröne, denn um perfekt zu sein, hätte dessen Grundriss nicht die Form eines lateinischen, sondern die eines griechischen Kreuzes aufweisen müssen.
»Sieh her«, hatte er gesagt und ein griechisches Kreuz auf einem Blatt Papier skizziert. »Wenn ich die Ecken der Kreuzarme verbinde, erhalte ich einen Kreis. Der Kreis wiederum ist das Symbol der Perfektion, der Vollkommenheit. In einem Rundbau verschwindet das Licht nämlich nicht im Langhaus wie in einem dunklen Loch, sondern dringt von allen Seiten zum Zentrum und bringt so den Raum zum Schweben.«
Contessina war das alles zu theoretisch gewesen, und so hatte er ihr versprochen, ihr seine Vorstellungen an Ort und Stelle zu erläutern.
Nun stand er unter der hohen weißen Kuppel des Florentiner Doms und wartete auf sie. Als sich endlich das mächtige bronzene Eingangstor öffnete und das Mädchen, von einer Aura aus Sonnenlicht umgeben, in die Kirche trat, eilte er voller Freude auf sie zu.
Doch Contessina wirkte verstört. Kaum dass er ihr gegenüberstand, brach es aus ihr heraus. »Es ist vorbei. Ich muss heiraten.«
»Heiraten? Wen?«
»Einen Grafen, irgendeinen Ridolfini.«
»Das kann doch nicht sein, das darf nicht …«, murmelte Michelangelo fassungslos.
Contessinas wandte ihm ihr tränenüberströmtes Gesicht zu. »Was haben wir denn gedacht, mein Liebster? Dass mein Vater dich jemals als Schwiegersohn akzeptieren würde? Früher oder später musste es so kommen!«
»Er wird es, er muss!«, presste Michelangelo hervor. »Ich spreche mit ihm.«
Sie sah ihn traurig an. »Willst du uns noch unglücklicher machen, als wir es jetzt schon sind?«
»Aber warum? Stamme ich denn nicht aus einer edlen Familie? Bin ich ein Niemand?«
»Für die Welt bist du niemand, auch wenn du für mich alles bist«, sagte Contessina sanft und schmiegte sich an ihn. »Aber mein Vater wird sein Versprechen halten, und dich wird er fortjagen. Ich will nicht, dass dir etwas zustößt. Das wäre das Schlimmste!«
Michelangelo stieß ein verzweifeltes Knurren aus. Er wusste, dass sie recht hatte.
»Warum sollte mein Vater mich mit einem Bildhauer vermählen?«, fuhr Contessina leise fort, wie um sich selbst zu überzeugen. »Er liebt die Kunst, ja. Aber über der Liebe zur Kunst steht seine Verpflichtung, als Oberhaupt der Medici den stato der Familie zu vergrößern. Verstehst du? An unserem Ansehen hängt unser Leben. Wenn es sinkt, werden unsere vielen Feinde über uns herfallen. Wenn sie keine Angst mehr vor uns haben, sind wir des Todes.«
Wie gern hätte Michelangelo ihr widersprochen, doch die Stimme versagte ihm. Contessina nahm seine Hand und küsste sie. Er erschrak – das hatte sie nie zuvor getan.
»Es war ein schöner Traum, mein Zähnebrecher, mein Herzensbrecher. Auch hinter die schönste Geschichte setzt der Herr eines Tages sein Finis. Vielleicht sollten wir
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