Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
etwas an einer Begegnung lag, die er natürlich geheim halten musste. Zufällig fiel die Verabredung mit seinem Geburtstag zusammen – wenn das in diesen unsicheren Tagen kein gutes Omen war! Da er mit einem Bischof zu Abend gespeist hatte, durchquerte er auf dem Weg nach Trastevere den Borgo.
Eine eigentümliche Stimmung überkam ihn, als er durch die meist leeren, dunklen Gassen schritt, die tagsüber von geschäftigem Treiben erfüllt waren. Er zählte nun neunundfünfzig Jahre und hatte noch immer nicht das große Werk vollbracht, für das er sich ausersehen dünkte. Die Fedeli waren tot oder in alle Winde zerstreut, der Bund existierte praktisch nicht mehr, und die sterblichen Überreste seines Freundes Pico della Mirandola ruhten nun schon seit fast zehn Jahren im Konvent der Dominikaner von San Marco in Florenz. Auch seine Suche nach dem Mörder, mal mit Eifer, dann wieder nachlässig betrieben, war bisher ergebnislos verlaufen.
So harrten beide Schwüre – Rache zu nehmen und im Geiste Picos einen Bau zu errichten, der alles bis dahin Geschaffene in den Schatten stellte – immer noch ihrer Erfüllung. Hatte der Tod den großen gräflichen Gelehrten daran gehindert, in einer wunderbaren Schau das gesamte Wissen der Menschen zu versammeln, so wollte Bramante dieses Buch sozusagen in Stein schreiben, ein Bauwerk schaffen, das die Architektur des menschlichen Glaubens veranschaulichte, denn das Wissen war nur ein Teil des Glaubens. Manchmal wachte er mitten in der Nacht auf, und die Angst, dass auch ihm der Tod zuvorkommen könnte, nahm ihm fast den Atem.
In der Synagoge an der Porta Portese versammelten sich die alteingesessenen Geschlechter der Juden von Trastevere. In diesem Winkel der Stadt schien sich Bonet sicher zu fühlen, denn das Viertel hatte mit der übrigen Stadt nicht allzu viel gemein: Es war ein eigener Kosmos mit eigenen Gesetzen, einem eigenen popolo und eigenen Patronen. Wild, archaisch und unbotmäßig.
Die Gegend, die er nun durchquerte, war ihm noch nie geheuer gewesen. Sein Weg führte vorbei an Ruinen und unbewohnten Grundstücken, in denen von jeher zwielichtiges Gesindel Unterschlupf fand. Deshalb hatte er sich gut bewaffnet. Angst hatte er nicht – was konnte der Mensch gegen den Spruch der Parzen ausrichten, wenn schon die Götter sich vor ihnen duckten? Für Bramante war alles, was eintreffen würde, bereits im Himmel aufgezeichnet – auch, dass sein Leben in der Existenz des Architekten vollkommen aufging. Und wenn im Himmel beschlossen war, dass sein Lebensfaden an diesem Tag von der Spindel der allmächtigen Zeit abgeschnitten würde, gab es keinen Ort auf dieser Welt, der ihn vor dieser Bestimmung bewahren, und keine Kraft, die das verhindern konnte. Dem Tod entging man nicht, deshalb half es auch nicht, sich zur Flucht zu wenden. Hin und wieder jedoch war der Tod feige oder faul und wollte einfach den Nächstbesten mitnehmen. Wenn man sich ihm dann beherzt entgegenstellte, konnte es womöglich geschehen, dass er Reißaus nahm und man ihm entkam.
Lauernd wie Räuber und Diebsgesindel duckten sich die Häuser in den Schutz der Dunkelheit. Nur dann und wann ragte aus den Häuschen der armen Handwerker oder kleinen Händler und aus den Unterkünften, deren Besitzer weiß Gott welchem Nebenerwerb nachgingen, ein Geschlechterturm wie ein Wächter heraus. Bramante passierte den Turm der Grafen von Anguillara und den der Pierleoni. Dann stand er endlich vor der düsteren Synagoge.
Der Oktobermond hatte sich hinter einer Wolke verborgen. Bramante schwitzte und stöhnte. Die Füße schmerzten ihn. Sie waren an solch lange Fußmärsche nicht gewöhnt und zudem für seinen mächtigen Körper einfach zu zierlich geraten. Er öffnete die Tür der Synagoge nur einen Spalt weit und schob sich hinein.
Der leise Gesang eines vollen Basses drang an sein Ohr. Die Wände schienen durch den Schall in Vibration zu geraten, als brächten die gesungenen Silben die Steine zum Tanzen. Bramante führte diesen seltsamen Eindruck auf seine überreizten Nerven zurück. Er verstand nicht, worum es in dem Lied ging, denn der Sänger benutzte jene Sprache, die so geheimnisvoll klang, so fremd und exotisch und die er für die Sprache des Alten Testamentes hielt. Auch wenn er nichts verstand, ja, aus den fließenden Akzentuierungen nicht einmal einzelne Worte zu unterscheiden vermochte, folgte er der Stimme. Sie führte ihn durch einen langen Gang zu einer geöffneten Tür. Es roch nach Myrrhe und
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