Die Lady mit dem Bogen
dass sie sich fragte, ob sie gar einen der Söhne des Königs vor sich hatte. Sie hatte keinen von ihnen gesehen, doch hieß es, dass sowohl Henry, der junge König, als auch Geoffrey lohfarbiges Haar hatten wie dieser Mann. Kinn- und Schnurrbart waren kurz geschnitten und nur eine Schattierung dunkler als seine sonnengebräunte Haut. Die markanten Züge seines wie von starken Händen geformten Gesichtes vermochte auch sein Bart nicht zu mildern.
»Saxon Fitz-Juste«, sagte er mit einer formvollendeten Verbeugung, die enthüllte, dass an dem Riemen über seiner Brust eine Laute hing. Anders als die anderen sah er nur die Äbtissin an.
Mallory war erstaunt. Sein Name stammte nicht aus dem Poitou. Auch war es kein normannischer Name. Saxon war ein alter Name aus der Zeit, ehe William der Normanne England erobert und in Besitz genommen hatte. Wie kam es, dass die Königin einen Mann dieser Herkunft zu ihren Getreuen zählte?
Eine Frage verbot sich, da die Königin sagte: »Saxon, ich glaube, Ihr könntet das Nötige erledigen, während ich mit der Äbtissin spreche.«
Wieder neigte er den Kopf und blieb zurück, die anderen hingegen beeilten sich, mit der Königin Schritt zu halten, als sie den Innenhof des Klosters überquerte. Sie drängelten wie mütterliche Nähe suchende Kinder und bedachten einander mit finsteren Blicken, die jedoch sofort lächelnden Mienen wichen, wenn die Königin zufällig in ihre Richtung schaute.
»Sind sie immer so töricht?« Mallory war nicht bewusst, die Frage laut geäußert zu haben, bis Saxon sich ihr zuwandte.
»Urteilt Ihr immer so rasch? Ich dachte, eine Ordensschwester sei allzu bereit, Schwächen anderer Menschen zu vergeben, so wie sie darum betet, ihre eigenen Mängel zu überwinden.«
Sie lehnte den Bogen an ihr Bein, löste aber die Sehne nicht. »Verzeiht. Es war nicht meine Absicht, meine Meinung laut zu äußern.«
Seine dunklen Augen wurden schmal, als er sie mit kühler Geringschätzung musterte. Nun erst fiel ihr ein, dass sie ihr Schlafgewand trug, ein ärmelloses Hemd, das ihre Knöchel sehen ließ. Sie schob den Bogen nach vorne, doch war er kein Schild, das sie vor seinem unbeirrbaren Blick schützte.
»Ihr seid die vorzüglichste Bogenschützin der Abtei?«, fragte er. Ihr war nun klar, dass sie sich über ihre Erscheinung grundlos Sorgen gemacht hatte. Anders als die Gedanken der anderen Männer galten seine eher dem Bogen als ihr. »Die Äbtissin hat wohl gescherzt.«
Mallory war froh, dass sie Bogen und Köcher festhielt, andernfalls hätte sie wohl nicht der Versuchung widerstanden, seinen Arm zu packen und ihn zu Boden zu werfen, wie sie es von Nariko gelernt hatte, der Frau, die sie im waffenlosen Kampf ihrer Heimat am anderen Ende der Welt ausgebildet hatte. Und sie hätte die Bewegung nicht verzögert ablaufen lassen, um seinen Fall auf die Steine abzubremsen. Vielleicht würde ein solcher Fall ihn Höflichkeit lehren.
»Wir scherzen nicht über solche Dinge«, sagte sie.
»Ich bitte, widersprechen zu dürfen.« Ein eisiges Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich kann nicht glauben, dass Ihr es seid, deretwegen die Königin kam.«
Mallory atmete rasch durch, um sich ihren Zorn nicht anmerken zu lassen. »Die Königin vertraut bei solchen Entscheidungen der Äbtissin. Als ihr Gefolgsmann solltet Ihr es auch so halten.«
»Ihr habt recht. Als Getreuer der Königin ist es jedoch meine Pflicht, ihr meine Augen zu leihen. Eure Haltung ist nicht die einer geübten Kriegerin. Falls Ihr die Beste von St. Jude’s Abbey seid, ist das Vertrauen der Königin in die Abtei nicht ganz gerechtfertigt.«
Legte er es darauf an, sie gegen ihn aufzubringen? Wenn dem so war, brauchte er sich nicht so ins Zeug zu legen. Sie fand seine Arroganz jetzt schon widerwärtig. Er mochte so tief auf sie herabsehen, wie es ihm beliebte. Das ärgerte sie ein wenig, doch was sie richtig wütend machte, war die Verachtung, die er für ihre geliebte Abtei zeigte.
»Wenn Ihr es wünscht«, sagte sie, »bin ich gern bereit, Euch einen Beweis meines Könnens zu liefern.«
»Diese Vorstellung muss auf die Königin warten.« Wieder musterte er sie von Kopf bis Fuß. »Sie muss etwas in Euch sehen, das mir entgeht.«
»Da stimme ich Euch zu.«
»Ach?«
Sie lächelte und schob den Köcher auf ihre Schulter. »Sie muss in Euch etwas sehen, das mir entgeht.«
Er sagte nichts darauf, und sie fragte sich, ob es ihm vor Schreck die Sprache verschlagen hatte. Von einer Ordensschwester
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