Die Lady mit dem Bogen
doch wie so vieles hatte man es in diesem Sommer vergessen, da das ganze Land dem Sieg der Revolte gegen König Henry den Älteren entgegenfieberte.
Er hatte nicht geahnt, dass es so lange dauern würde. Das Boot, auf das er warten sollte, musste irgendwo entlang des Flusses aufgehalten worden sein. Eigentlich nicht unerwartet, da unweit von Poitiers im Norden Kämpfe zwischen dem König und seinen Söhnen tobten. Er würde warten. Das war seine Pflicht, und er war entschlossen zu beweisen, dass auch der zweitgeborene Sohn eines Edelmannes für seinen König von Wert sein konnte.
»Ein Schlückchen, Kumpel?«, rief ein Betrunkener, in der ausgestreckten Hand eine schmierige Flasche.
»Danke.« Er wollte nicht noch mehr Verdacht erregen, indem er ablehnte. Als er sah, dass der Mann mit zwei anderen dasaß, setzte auch er sich zu ihnen und ließ sich die Flasche in die Hand drücken.
Saxon hoffte, der saure Wein in der Flasche hätte das Sehvermögen der Männer getrübt. Die Flasche an den Mund haltend, tat er, als genehmige er sich einen tiefen Zug. Er schluckte, fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und rülpste, ehe er die Flasche zurückreichte. Ein warnendes Knarren der Bretter, und er rückte ein Stück weiter. Der ganze Kai drohte in den Fluss abzurutschen.
»Danke, Kumpel«, sagte er. »Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es ein Mittel gegen den Schmerz des Betrogenwerdens gibt.«
»Weiber«, brummte der Mann.
»Weiber«, antwortete er, als erkläre dies alles.
»Her mit der Flasche, Jacques«, forderte einer der anderen. »Wir haben auch Durst.«
»Halt den Mund! Ich rede mit meinem neuen Freund. Freund, du sahst aus, als würdest du dir die Füße wund laufen.« Der Mann lachte betrunken, dann setzte er wieder die Flasche an, um anschließend einen Blick auf Saxons Füße zu werfen. »Du hast ja Schuhe!«
»Gefunden.«
Einer der anderen beugte sich vor. »Wo denn?« »An den Füßen eines Mannes, der sie im Grab nicht mehr gebrauchen konnte.«
Die Männer wieherten vor Lachen bei der Vorstellung, dass ein Toter bestohlen worden war. Saxon argwöhnte, dass sie mehr als einmal Leichenfledderei begangen hatten, und er schwor sich, diese Trunkenbolde daran zu hindern, ihn um seine Schuhe oder etwas anderes zu erleichtern.
Als einer der Männer ein Lied anstimmte, stießen ihn die anderen an und deuteten auf den Fluss. Saxon verbarg sein Stirnrunzeln, als er die Mienen der Männer sah. Einen kurzen Augenblick lang waren ihre Gesichter völlig offen. Sie spielten wie er eine Rolle. Was oder wen erwarteten sie? Sie zu fragen wäre eine Dummheit. Falls sie entdeckten, dass auch er Theater spielte, würde man ihn womöglich zum Schweigen bringen. Ihm lag nicht daran, sein Blut mit der trägen Strömung des Flusses davonfließen zu sehen.
»Noch einen Schluck«, forderte er mit so schwerer Zunge wie zuvor.
Der Jacques Genannte reichte ihm zerstreut die Flasche, während er und die anderen beobachteten, wie ein Boot mit viereckigem Segel von der Flussmitte aus den Kai ansteuerte.
Saxon setzte die Flasche an und ließ den abscheulichen Wein seitlich aus dem Mund auf sein verschmutztes Gewand rinnen. Er brummte, als die anderen sich aufrappelten und den Kai entlangeilten. Sie liefen bis ans Ende und stießen einen Mann beiseite, der ihnen zornig nachblickte und die Faust schüttelte. Als Jacques ihn finster ansah, wich der Mann hastig seinem Blick aus.
Dieser Blickwechsel verriet Saxon sehr viel. Jacques musste Jacques Malcoeur sein, ein berüchtigter Dieb, der das Flussufer unsicher machte. Über seine Missetaten und seine unersättliche Habgier wurde nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Wollten er und seine Spießgesellen das anlegende Schiff angreifen und es berauben – direkt unter den Türmen der Stadtmauer, die auf dem Steilhang über dem Fluss thronte?
Er hatte keineswegs die Absicht, ihren heimtückischen Plan zu vereiteln. Die Königin verfügte über Wachposten, die den Handel auf dem Fluss im Auge behielten und überwachten. Er war aus anderen Gründen hier. Er hob die Flasche und spähte an ihr entlang zum Deck. Der Bug wies keinen Anstrich auf. Die Seitenflächen mochten Farbe getragen haben, doch war davon nichts mehr zu sehen. Das Flusswasser kannte keine Gnade und machte jeden Versuch zunichte, ein Schiff zu schmücken.
Auf Deck waren Kisten und Fässer gestapelt. Er fragte sich, wie viele davon leer sein mochten. Der jüngere König, seine Brüder und der französische
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