Die Landkarte der Liebe
den FüÃen stampften, damit das Blut wieder zirkulierte. Katie blieb kaum eine Stunde. Sie bedankte sich bei allen, die einen weiten Weg gehabt hatten, dann verlieà sie diskret das Pub.
Als sie mit Ed zum Wagen ging, rief jemand: »Gehst du schon?«
Sie blieben stehen. Es war Jess, Katies beste Freundin. Während des Studiums hatte Jess Katie durch die heiÃen Clubs am Rand der Stadt geschleift, nun hatte sie einen hochdotierten Job als Verkaufsleiterin bei einer Pharmafirma.
»Tut mir leid, ich weiÃ, wir haben kaum geredet, aber ⦠ich â¦Â«
»Katie.« Jess warf ihre Zigarette weg. »Alles kein Problem.«
»Danke, dass du gekommen bist. Das bedeutet mir sehr viel. Und danke auch für deine Worte.«
Jess hatte jeden Tag angerufen und Katie Nachrichten hinterlassen, ihr beteuert, dass sie nicht allein war, und ihr die Beileidsbekundungen der gemeinsamen Freunde übermittelt. »Tut mir leid, dass ich mich noch nicht gemeldet hab. Ich wollte zurückrufen ⦠aber, na ja â¦Â«, stotterte Katie. Sie war Jess â all ihren Freunden â wirklich dankbar, doch sie konnte mit ihnen nicht über Mia sprechen. Noch nicht.
»Du hast deine Schwester verloren. Ich hab für alles Verständnis.« Jess nahm Katie in die Arme. »Und jetzt hast du dich genug entschuldigt, klar? Lass dir Zeit. Wenn du so weit bist, sind wir alle für dich da.«
»Danke«, seufzte sie in den Zigarettengeruch, der Jess umgab.
Jess drückte Katies Hände, dann drohte sie Ed mit dem Finger. »Pass ja gut auf sie auf, verstanden?«
Er lächelte und legte einen Arm um Katies Taille. »Darauf kannst du dich verlassen.«
Die Rückfahrt nach London war lang, doch die Stunden im Auto waren Katie lieber als Cornwall mit seiner schneidenden Seeluft und den rauschenden Wellen, die ihr so viele Erinnerungen zuzuraunen schienen.
Zu Hause zog sie als Erstes den ReiÃverschluss ihres schwarzen Kleides auf. Es fiel knisternd auf den Boden. Katie entstieg dem dunklen Pfuhl und schlüpfte in einen flauschigen Pullover und ein Paar Jogginghosen, das Mia gehört hatte. Der Saum umspielte ihre FüÃe. Sie ging durch den Flur, zögerte kurz, dann betrat sie Mias Zimmer.
Ihr Rucksack war ans Bett gelehnt. Er war schon vor einigen Tagen aus Bali eingetroffen, aber Katie war noch nicht bereit gewesen, hineinzuschauen. Die Klebebänder der Flughäfen wickelten sich um seine Träger, an den ReiÃverschlüssen hingen kleine Lederriemen. Vorn prangte ein Sticker mit einer Frau in einem Hula-Rock, und auf eine Seitentasche hatte jemand mit dickem, schwarzem Filzstift ein Gänseblümchen gekritzelt. Katie löste die Schnallen, zog die Kordel auf und griff hinein.
Ihre Hand bahnte sich einen Weg durch den Inhalt und zog ein Teil nach dem anderen heraus, wie aus einem Glückstopf. Sie zerrte an einem orangefarbenen Strandkleid, das nach Jasmin, aber auch nach Sonnenöl und Salz, dem Duft von Urlaub, roch. Katie strich es glatt und legte es auf das Bett. Behutsam holte sie weitere Sachen hervor: ein Paar Havaianas-Flip-Flops mit abgetretenen Sohlen, ein Reisehandtuch in einem Netzbeutel, einen iPod in einer durchsichtigen Hülle, zwei Romane, deren Autoren Katie unbekannt waren, eine schmale, sandige Taschenlampe, einen Männerpullover, mit Daumenlöchern in den Ãrmeln. War der von Finn?
Sie suchte weiter, bis sie auf etwas Hartes stieÃ. Katie wusste, dass die Polizei Mias Reisetagebuch gefunden hatte, aber offenbar hatten die Beamten nur flüchtig hineingeschaut und es nicht für sehr beweiskräftig gehalten.
Mia hatte immer Tagebuch geführt, und die Frage, was darin wohl stand, hatte Katie stets beschäftigt. Als Kind hatte es sie sehr verwirrt, dass ihre Schwester ihre Gedanken lieber einem Stück Papier als einem Menschen anvertraute. Als Teenager lieà sich die Versuchung, darin zu lesen, nicht mehr bändigen. Zwei Mal hatte sie Mias Zimmer durchsucht, in der Hoffnung, auf etwas zu stoÃen, was nur das Tagebuch wusste, aber so chaotisch und unordentlich Mia auch war, ihre Geheimnisse hatte sie gut versteckt.
Langsam zog Katie das Tagebuch hervor. Um den Deckel spannte sich ein schimmernder, meerblauer Stoff. Es lag schwer in ihrer Hand. Sie fuhr mit dem Finger über seinen Rücken und schlug es dann so vorsichtig auf, als ob Mias Worte Schmetterlinge wären, die jeden Moment
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