Die Landkarte der Liebe
Idee.
Katie konnte in jener Nacht, als sich die Idee in einen Plan verwandelte, kaum schlafen. Am nächsten Morgen stand sie früh auf und ging gleich in die Putney High Street, auf der Suche nach einem Reisebüro. Einer Angestellten mit korallenrotem Lippenstift auf trockenen Lippen legte sie Mias Reiseroute vor. »Ich würde gern die gleiche Strecke buchen.«
Natürlich hätte sie das auch im Netz tun können, aber so eine groÃe Entscheidung wollte sie nicht mit einem »Mausklick« besiegeln. Vielleicht hatte sie auch insgeheim gehofft, zu hören, dass das verrückt und viel zu impulsiv sei, doch die Mitarbeiterin des Reisebüros hatte bloà einen Schluck dampfenden Kaffee getrunken und gefragt: »Wann soll es losgehen?«
Nun, fünf Tage später, saà sie auf dem Boden ihres Schlafzimmers und versuchte, zu packen. Der Inhalt von Mias Rucksack lag zu ihren FüÃen ausgebreitet, ihre eigenen Kleider warteten ungeordnet in einem violettfarbenen Koffer. Eigentlich packte Katie mit Entschiedenheit und Methode, aber sie hatte keine Ahnung, was sie auf dieser Reise brauchen würde. Dabei wollte sie in wenigen Stunden ein Flugzeug nach San Francisco besteigen, genau wie Mia ein halbes Jahr zuvor.
Die Schlafzimmertür ging auf, Ed brachte Tee. Er reichte ihr eine Tasse und lieà sich neben Katie auf dem Boden nieder. Seine Anzughosen spannten an den Knien und entblöÃten ein Stück Haut über den Socken.
Katie nippte an ihrem Tee. Ed machte ihn genau nach ihrem Geschmack: nicht zu stark, mit einem groÃzügigen Schuss Milch und einem halben Löffel Zucker.
Er beäugte ihre Packversuche skeptisch. »Du kannst dich immer noch umentscheiden. Du kannst doch garantiert in deinen alten Job zurück.«
Sie hatte ihre Stelle als leitende Personalberaterin gleich nach dem Gang ins Reisebüro gekündigt. Seit dem Studium war sie ein und derselben Firma treu geblieben, und doch war der Anruf, der ihr Arbeitsverhältnis lösen sollte, in nicht einmal fünf Minuten erledigt. »Ich kann nicht zurück.« Die Vorstellung, in ihr Büro zu gehen, sich an ihren Schreibtisch zu setzen, unter die Klimaanlage, durch die ihre Augen stets austrockneten, und so zu tun, als ob ihr die Einstellung geeigneter Bewerber am Herzen läge, war ganz und gar undenkbar.
»Warum wartest du nicht noch ein wenig? Ich kann bestimmt mit meinen Urlaubstagen irgendetwas drehen. Wir könnten in ein paar Wochen zusammen fahren ⦠vielleicht nicht überallhin, aber wenigstens nach Bali. Dann siehst du, wo â«
»Ich muss das Schritt für Schritt machen, von Anfang an.« Katies Bewältigungsstrategie hieà Struktur und Disziplin. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie ihren Kalender gnadenlos mit Terminen gefüllt, jede freie Stunde, die sonst in den Sog des Selbstmitleids geraten wäre, ganz gezielt verplant. Ihren Job war sie mit der gleichen Entschiedenheit angegangen. Sie hatte rund um die Uhr gearbeitet, und das derart effizient, das sie nur drei Monate später befördert worden war.
Doch nun, nach Mias Tod, ging es ihr anders. Arbeit und Ablenkung schienen nicht die passende Reaktion auf ihre zähe, schwarze Trauer. Mias Reisetagebuch hatte einen kleinen Lichtstrahl in die Düsternis gesandt. Und so hatte sie eine Entscheidung getroffen. Sie würde dem Tagebuch folgen, Eintrag um Eintrag, Land um Land, in der Hoffnung, dass sie Mias Tod ein wenig besser verstehen würde, wenn sie die Schritte ihrer Schwester nachvollzog. Zum ersten Mal, seit die Polizei bei ihr erschienen war, hatte Katie wieder ein Ziel vor Augen.
»Und wenn wir noch sooft darüber gesprochen haben«, sagte Ed, »deine Beweggründe leuchten mir immer noch nicht ein.«
»Du weiÃt, wie schwierig es zwischen uns beiden war, vor ihrer Abreise«, sagte Katie und stellte ihre Tasse ab. »Ich hab sie fahren lassen ⦠Ich war doch regelrecht erleichtert , dass sie losgezogen ist.«
»Du trägst keine Schuld an Mias Tod.«
Wirklich nicht? Sie hatte gemerkt, wie unglücklich Mia in letzter Zeit gewesen war, und trotzdem hatte sie Mia sich selbst überlassen â ihre kleine Schwester. Dabei war Katie doch für sie verantwortlich. Und hatte jämmerlich versagt. »Das Tagebuch ist alles, was ich habe. Es ist das Tor zu sechs Monaten, die mir fehlen.«
»Dann lies es hier. Und, wie gesagt, ich lese es
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