Die Landkarte der Liebe
mitreiÃen lassen, einige Gläser Bier getrunken, Billard gespielt, zu Achtzigerjahre-Rock aus der Jukebox getanzt â doch sie wusste auch, dass ihr das an diesem Abend nicht gelingen würde. »Ich glaub nicht â¦Â«
»Na komm, es ist Weihnachten! Und wir waren schon seit einer Ewigkeit nicht mehr zusammen unterwegs.«
Der vorwurfsvolle Unterton war nicht zu überhören. Mia wurde von Noah in Anspruch genommen. Sie rieb sich über den Arm; der neue Reifen funkelte meergrün in der Abendsonne. »Tut mir leid, ich würde gern etwas mit dir trinken, aber für den Pub bin ich nicht in der richtigen Stimmung.« Mia hatte gehofft, dass er die Botschaft verstehen würde. Sie wollte gern etwas mit ihm unternehmen. Aber nur mit ihm.
»Seh ich ein.« Er zuckte mit den Schultern. »Dann bis später.«
Mia ging in ihr Zimmer, steckte das Tagebuch und ein dünnes Päckchen in ihre Tasche und begab sich auf die Suche nach Noah. Vor dem Hostel stieà sie auf Zani, die zum Kreis um Noah und Jez gehörte. Sie hatte kurzes, gebleichtes Haar und trug eine weite, farbige Hose, die am Saum schon ziemlich heruntergetreten war. Sie saà rauchend im Schneidersitz auf dem Rasen.
»WeiÃt du, ob Noah am Strand ist?«
»Die sind alle in Reds. Surfen.« Sie bot Mia ihren Joint an.
»Danke, im Moment nicht«, sagte Mia und ging weiter.
In den Sträuchern, die den Pfad nach Reds säumten, zirpten Grillen und Zikaden. Der Strand verdankte seinen Namen einem Plateau aus roten Felsen, die wie gestrandete Wale am Ufer lagen und in der abendlichen Sonne glühten. Mia schlüpfte aus ihren Flip-Flops. Ein leichter Dunst, der vom Meer aufstieg, hing in der Luft. Weiter drauÃen brachen mächtige Wellen, ihre Gischt schlug gegen die Felsen.
Das Gespräch mit Katie war in dem Moment vergessen, als Mia Noah sah. Er stand, sein Brett unter dem Arm, einige Schritte vom Wasser entfernt und badete in den goldenen Strahlen der tiefen Sonne. Die vielen Jahre des Surfens hatten seinen Körper gestählt, er war schlank und muskulös. Mia konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, doch das war auch gar nicht nötig. Ihr war die ernste Miene vertraut, mit der er auf das Wasser schaute. Sie hatte inzwischen verstanden, dass das Surfen für Noah ein Grundbedürfnis war, so elementar wie Hunger oder Durst.
War es seine Leidenschaft für das Meer? Was zog sie mit derart verstörender Macht zu ihm? Es hatte Männer in ihrem Leben gegeben â meistens kurze, oberflächliche Beziehungen â, doch so etwas hatte sie noch nie empfunden.
»Hey«, kündigte sie sich an.
Er drehte sich um, lächelte.
»Ich wollte dir nur frohe Weihnachten wünschen.«
Er lockerte den Griff um sein Surfbrett, stellte es aber nicht ab. »Dir auch frohe Weihnachten, Mia.«
Sie hatte ihn den ganzen Tag noch nicht gesehen. Am liebsten hätte sie ihre Lippen auf seine nackte Brust gedrückt und seine warme Haut gespürt. »Ich hab was für dich.« Sie griff an ihre Tasche, in der sein Geschenk lag. Dann ging ihr auf, dass er es nicht einstecken konnte: »Ich gebâs dir später.«
»Tut mir leid. Ich hab nichts für dich. Ich hab nicht daran â¦Â«
»Es ist auch eigentlich kein Weihnachtsgeschenk, ich bin zufällig darauf gestoÃen.« Es war ihr Lieblingsroman von Hemingway: Der alte Mann und das Meer . Sie hatte das Buch im letzten Hostel auf dem Tauschregal entdeckt, ihren Lonely Planet dafür hingestellt und auf die erste Seite geschrieben: Für Noah, Hemingways tosende Worte über die See ⦠alles Liebe, Mia xx. « Dann hatte sie das Buch in eine Gratis-Zeitschrift eingeschlagen und mit Schnur umwickelt.
»Wir sehen uns später.« Er beugte sich vor und küsste sie. Als er zurückwich, schnellte sein Blick zum Meer, zu den Brechern, die gleichmäÃig und machtvoll heranrollten.
»Du solltest da raus.«
Noah ging zum Rand des Felsens und wartete auf ein Wellental. Dann warf er das Brett ins Wasser und tauchte ihm nach. Er brauchte mehrere kräftige Züge, um an das Board zu kommen, dann zog er sich hinauf und paddelte wild entschlossen durch die Gischt.
Mia strich sich das Haar aus dem Gesicht, fasste es zu einem tief sitzenden, lockeren Knoten zusammen, setzte sich und schlang die Arme um die Knie. Sie sah Noah gern beim Surfen zu. Sie hatte genügend
Weitere Kostenlose Bücher