Die Landkarte der Liebe
Einsamkeit schlug über ihr zusammen. Mia schloss die Augen. Was Katie wohl gerade machte? Saà sie mit Eds Eltern beim festlichen Essen, diskrete Weihnachtsmusik im Hintergrund? Oder waren sie noch beim Aperitif, hielt Katie ein Champagnerglas in der Hand und lieà ihren Verlobungsring im Licht eines Kronleuchters funkeln? Sie hatte sich für den Anlass bestimmt etwas Neues zum Anziehen gekauft, das Haar nach hinten gekämmt und eine zarte Silberkette umgelegt. Dann sah Mia Ed, wie er seine Hand auf Katies Hand legte. Sie fröstelte. Konnte sie tatenlos dabei zusehen, wie er ihre Schwester heiratete?
Sie zog das Tagebuch aus der Tasche, schlug eine leere Seite auf und schrieb. Der Stift bewegte sich erst stockend, dann immer rascher, bis die Worte das Papier regelrecht durchtränkten. Die hässliche, schmutzige Wahrheit floss über die Seiten, als Mia das niederschrieb, was sie Katie hätte sagen sollen: Du darfst diesen Mann nicht heiraten. Er hat dich betrogen. Und das auch noch mit deiner Schwester.
Kapitel 15
Katie
Westaustralien, Juni
Katie hielt die losen Seiten in ihren zitternden Händen und las. Dann schaute sie auf.
Ed hatte sich mit hängendem Kopf auf die Kommode gestützt, die Hände flach auf das polierte Holz gelegt. Im Spiegel sah Katie die Stelle, an der das Haar schon dünn wurde. Ed plusterte es sich jeden Morgen mit den Fingern auf. Katie hatte es rührend gefunden, dass Ed so sensibel war und es doch einen Riss in seinem Panzer aus Selbstvertrauen gab.
»Du hast mit meiner Schwester geschlafen?«
Ed wandte sich um. Sein Gesicht war aschfahl, seine Lippen wirkten im Vergleich dazu dunkel. »Es tut mir so leid.« Er fuhr sich mit der Hand über das Kinn. »Das war ein riesengroÃer Fehler.«
»Wie war es denn?« Sie konnte hoch pokern. Sie hatte nichts zu verlieren.
»Was? Ich â¦Â«, verhaspelte er sich.
Auf jenen sechs zerknitterten Seiten offenbarte sich eine Facette von Ed, die alles infrage stellte, woran Katie bisher geglaubt hatte. Denn sie hatte lesen müssen, dass ihre Schwester und ihr VerÂlobter im düsteren Korridor einer Bar in Camden gevögelt hatten, ein Bilderrahmen von der Wand gefallen und zersprungen war und sich dabei ein Glassplitter in Mias Knöchel gebohrt hatte.
»Es war ein Fehler. Und bedenke bitte, dass wir beide entsetzlich betrunken waren.«
»Du hast mir nie davon erzählt.«
»Nein«, erwiderte er, »natürlich nicht. Ich habe das bitterlich bereut und natürlich niemandem davon erzählt. Ich wollte dir nicht wehtun, Katie.«
»Aber trotzdem bist du in die Bar gegangen, in der meine Schwester gearbeitet hat, hast ihr einen Drink nach dem anderen spendiert und dann mit ihr in einem Korridor rumgemacht.«
»Was du gelesen hast«, sagte Ed, »ist ihre Version.«
»Dann sollte ich jetzt wohl deine hören.« Sie verschränkte die Arme, damit er nicht sah, wie sehr ihre Hände zitterten.
Er holte tief Luft. »Erinnerst du dich noch an den Abend von Freddies Geburtstag? Ich hatte dir gesagt, dass ich mich gleich nach der Arbeit mit den Jungs treffen wollte. Wir haben am Embankment angefangen und sind â Gott weiÃ, wie â in einer Kellerbar in Camden gelandet. Ich hatte doch keine Ahnung, dass Mia dort arbeitet, sie machte so viele Jobs, da hatte ich längst den Ãberblick verloren.« Er fuhr mit den Fingern durch die Luft, um in dieser Geste Mia zu beschreiben: flüchtig, rastlos. »Sie ist mir auch nur deshalb aufgefallen, weil sie eines von deinen Kleidern anhatte. Das nennt man wohl wirklich doppelt sehen.«
Katie beherrschte sich mühsam. Sie wollte sich Ed noch nicht offenbaren. Sie lauschte nur und sprach kein Wort.
»Als Mia Feierabend hatte, hab ich sie zu uns geholt und ihr einen Drink spendiert. Das klingt heute sicher aberwitzig, doch in dem Moment hab ich gedacht: Katie wird sich freuen. Es hat dir doch immer so viel ausgemacht, dass wir keinen guten Draht zueinander hatten.«
Damit hatte er recht. Ed und Mia hatten in verschiedenen Welten gelebt, und Katie hatte immer das Gefühl gehabt, dass ihre Arme nicht weit genug reichten, um beide zu umfangen. Wenn Ed über seine Geschäfte gesprochen hatte, hatte Mia stets zu Katie gesehen und so getan, als würde sie einschlafen. Sie hatte nur ab und zu den Kopf gehoben, um Ed freundlich anzulächeln. Einmal hatte er sie
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