Die Landkarte der Liebe
dreierlei Besteck und auf dem Sideboard Rotwein, natürlich dekantiert.
»Wo bist du?«, fragte Katie.
»In Margaret River. Westaustralien.«
»Und jetzt? In dieser Sekunde? Ich würdâs mir gern vorstellen.«
»In einer Telefonzelle vor dem Hostel. Du wirst lachen, es ist eine rote, eine typisch englische. Die Spuren der Kolonialzeit sind noch immer nicht getilgt.«
»Und was kannst du sehen?«
Mia schaute durch die verschmierten Scheiben. »Blauen Himmel. Eukalyptusbäume.« Sie steckte den Kopf durch die Tür und blickte in die Baumkronen. »Und zwei Kookaburras.«
»Der Lachende Hans, oder?«
»Genau die.«
»Ich kann es mir nicht vorstellen. GenieÃt du deine Reise?«
Mia schob sich das Haar aus dem Gesicht. Sie dachte an Maui und die schockierende Enthüllung, die ihr schwer im Magen lag, an den Monat des Grübelns und der Apathie. Aber auch an ihren Fallschirmsprung, an das Baden im Pazifik, an eine Nacht mit Noah neben einem Strandfeuer. »Es übertrifft meine Erwartungen in jeder Hinsicht.«
»Ach, schön, das ist wirklich schön.« Und dann: »O Mia, es ist schrecklich, dass du Weihnachten nicht hier bist. Ich vermisse dich so sehr!«
Mia lächelte, es wärmte ihr das Herz, wenn Katies Gedanken und Gefühle so hemmungslos aus ihr herausbrachen. In jüngeren Jahren war ihr Katies Aufrichtigkeit peinlich gewesen, nun aber bewunderte sie ihre Schwester genau dafür. »Ich vermiss dich auch«, brachte sie heraus.
»Wo sind die vielen Postkarten, die du mir versprochen hast?«
»Gekauft hab ich sie. Na ja, zwei. Eine in Kalifornien und eine in Perth. Ich hab sie nur noch nicht geschrieben.«
»Dann beeil dich mal. Ich bekomme so gern Post von dir.«
Jedes Mal, wenn sie Katie schreiben wollte, hatte ihr Stift über der leeren Karte gezögert. Wo sollte sie beginnen? Sie hätte Katie Tausende von Dingen schildern können, aber das, was sie am meisten beschäftigte, konnte sie ihr nicht erzählen.
»Wie spät ist es in Australien? Ist dein Mittagessen schon vorbei?«
»Es ist sechs Uhr abends. Und das Festessen hat aus einer verbrannten Wurst in einem blassen Brötchen bestanden.«
»Ehrlich? Mia! Das klingt aber gar nicht nach Weihnachten.«
»Nein, allerdings nicht.« Und das war ihr auch sehr recht so. Weihnachten war in ihrer Familie immer ein groÃes Fest gewesen. Doch im Jahr zuvor hatten sie das erste Weihnachten ohne ihre Mutter feiern müssen. Katie hatte die Einladung von Eds Eltern ausgeschlagen und war zu Hause bei Mia geblieben. Sie hatte eine Schürze umgebunden und eine entschlossene Miene gezeigt und unbedingt weihnachtliche Stimmung zaubern wollen. Doch trotz all ihrer Bemühungen war die Trauer nicht gewichen, und der Wein, den sie gegen das Schweigen getrunken hatten, hatte den Schmerz nur noch verschlimmert. Nach dem Essen hatten sie sich gestritten und den restlichen Tag in getrennten Zimmern verbracht.
»Finn wollte aber unbedingt, dass wir unsere Socken raushängen«, erzählte Mia.
»Sag mir bitte, dass seine Socken sauber waren!«
»Angeblich ja, aber Finn hat nur zwei Paar mitgenommen und seit vierzehn Tagen nicht gewaschen. Du kannst es dir ja ausmalen.«
Katie lachte. »Und was war in deinem?«
»Finn hat hier keine Mandarinen bekommen und mir stattdessen eine Banane in den Strumpf gestopft, und so bin ich in den Genuss eines Kartenspiels mit Bananengeruch, eines Reiseführers über Samoa mit Bananengeruch und eines Armreifens mit Bananengeruch gekommen.« Mia hob die Hand und bewunderte noch einmal den schweren, meergrünen Schmuck.
»Wie geht es ihm denn so?«
Katie erkundigte sich nur selten nach Finn, aber vielleicht machte die Distanz es ihr leichter. »Gut. Er findet überall gleich Anschluss. Mittwoch hat er das ganze Hostel dazu animiert, Bowle zu machen, und dann haben alle unter einem Gürtel hindurch, der zwischen zwei Bettpfosten gespannt war, Limbo getanzt.« Als Mia endlich dazugekommen war, hatte sich der Spaà zu ihrer groÃen Enttäuschung gerade aufgelöst. Und als Finn gefragt hatte, wo sie gewesen sei, hatte sie rote Flecken am Hals bekommen. »Unterwegs. Mit Noah.«
»Ich kann nicht mehr so furchtbar lange sprechen, Ed wartet«, sagte Katie, »aber ich hab Neuigkeiten!«
»Okay â¦Â«
»Freitag war ich mit Ed zum Abendessen im
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