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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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war überzeugt, dass die Wissenschaft und ihre schwindelerregenden
     Entdeckungen jene Zukunftsmusik waren, nach denen die Menschen würden tanzen müssen.
    Das Papier in seiner Tasche verschaffte ihm aber auch gewisse Freiheiten in der aktuellen Räumlichkeit. Er musste beispielsweise
     nicht in einem muffigen Wartezimmer ausharren, bis der vielbeschäftigte Gilliam Murray ihn zu empfangen beliebte. Mit der
     Macht des Haftbefehls umging Garrett die über Murrays Ungestörtheit wachenden Sekretärinnen, stieg die Treppe zum ersten Stock
     hinauf, ohne sich um ihre empörten Rufe zu kümmern, eilte durch den mit Wanduhren behängten Korridor und trat wie eine Erscheinung
     in das Arbeitszimmer des Unternehmers, gefolgt von einer Schar nach Luft schnappender Sekretärinnen. Gilliam Murray lag auf
     dem Teppich und spielte mit einem großen Hund. Er warf ihm einen ärgerlichen Blick zu, als er so unangemeldet hereinplatzte,
     doch Garrett ließ sich nicht einschüchtern. Er wusste, dass sein Verhalten mehr als gerechtfertigt war.
    «Guten Morgen, Mr.   Murray. Ich bin Inspektor Colin Garrett von Scotland Yard», stellte er sich vor. «Verzeihen Sie, dass ich auf diese Weise
     in Ihr Büro eindringe, aber ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen.»
    |543| Murray erhob sich langsam, wobei er den Inspektor argwöhnisch musterte, dann schickte er die Sekretärinnen mit einer lässigen
     Handbewegung aus dem Zimmer.
    «Die Dinge, mit denen Sie sich beschäftigen, Inspektor, sind per Definition wichtig; Sie brauchen sich daher nicht zu entschuldigen»,
     sagte er und bot ihm einen Sessel an, während er seinen mächtigen Körper in den gegenüberstehenden Sessel zwängte. Dann nahm
     Gilliam eine kleine Holzkiste von dem Tischchen, das zwischen ihnen stand, öffnete es und bot Garrett eine Zigarre an, alles
     mit schroffen, aber sehr freundlichen Gesten, die im Gegensatz zu seiner anfänglichen Frostigkeit standen. Der Inspektor lehnte
     höflich ab und musste innerlich lächeln ob des plötzlichen Umschwungs im Verhalten des Unternehmers, der in wenigen Sekunden
     das Pro und Kontra abgewogen hatte, einen Inspektor von Scotland Yard zu verstimmen, und in diesen wenigen Sekunden zu der
     Überzeugung gelangt war, dass es sinnvoller wäre, ihm mit geheuchelter Zuvorkommenheit zu begegnen. Deswegen saß Garrett jetzt
     in einem bequemen Sessel und nicht auf dem danebenstehenden steifen Stuhl.
    «Sie ertragen den Rauch nicht, was?», sagte Gilliam und stellte das Kistchen auf den Tisch zurück. Stattdessen griff er zu
     einer Karaffe aus geschliffenem Kristall und schenkte eine befremdlich aussehende schwärzliche Flüssigkeit in zwei Gläser.
    «Dann darf ich Ihnen vielleicht etwas zu trinken anbieten.»
    Garrett nahm das Glas mit dem undefinierbaren Getränk zögernd entgegen, doch der Unternehmer ermunterte ihn mit einem Lächeln
     und nahm selbst einen herzhaften |544| Schluck. Garrett tat es ihm nach und spürte das Getränk in seiner Kehle kribbeln, dass ihm Tränen in die Augen traten.
    «Was ist das, Mr.   Murray?», fragte er verwirrt und konnte einen kleinen Rülpser nicht unterdrücken. «Irgend so ein Getränk aus der Zukunft?»
    «O nein, Inspektor. Das ist ein belebendes Tonikum aus den Vereinigten Staaten. Die Erfindung eines Apothekers aus Atlanta
     auf der Basis von Kokablättern und Colasamen. Einige, zu denen auch ich gehöre, verdünnen es mit etwas Wasser. Ich denke,
     dass es bald schon auch nach England eingeführt werden wird.»
    Garrett stellte das Glas auf dem Tischchen ab.
    «Schmeckt komisch», sagte er. «Die Leute werden sich erst daran gewöhnen müssen.»
    Gilliam nickte lächelnd und leerte sein Glas mit einem weiteren Schluck. Dann fragte er, sichtlich um Garretts Wohlgesinntheit
     bemüht:
    «Sagen Sie, Inspektor, wie ist Ihnen die Reise ins Jahr 2000 bekommen?»
    «Sehr gut, Mr.   Murray», antwortete Garrett aufrichtig. «Ich möchte Ihnen bei dieser Gelegenheit versichern, dass ich Ihr Projekt hundertprozentig
     unterstütze, auch wenn man in den Zeitungen manchmal lesen kann, es sei unmoralisch, in eine Zeit zu schauen, die nicht die
     unsere ist. Ich bin da unvoreingenommen und finde so eine Zeitreise enorm attraktiv. Ich bin schon sehr neugierig, wann Sie
     weitere Routen in andere Epochen erschließen.»
    Der Unternehmer dankte ihm mit verhaltenem Lächeln und schaute ihn in einer Haltung ruhiger Erwartung an, was auf den Inspektor
     wohl einladend wirken sollte, nun |545|

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