Die Landkarte der Zeit
letzten Schnaufer tat, könne aus den Tiefen seines Hirns das Thema eines ganz |551| außergewöhnlichen Romans auftauchen, den zu schreiben er dann keine Zeit mehr hätte. Ein Roman, der immer schon da gewesen
war, auf ihn gewartet hatte, ihn gerufen hatte, doch unter all dem Lärm des Lebens nicht gehört worden war und nun mit ihm
sterben würde, weil niemand sonst ihn schreiben konnte, da er allein für ihn gemacht war wie ein maßgeschneiderter Anzug.
Das war seine größte Angst, sein schlimmster Fluch.
Er schüttelte den Kopf, um die lästigen Gedanken zu verscheuchen, und schaute auf die Uhr. Es war bereits nach Mitternacht,
deshalb konnte er neben sein Namenszeichen auf dem letzten Blatt des Romans das Datum 21. November 1896 schreiben. Danach blies er liebevoll über die feuchte Tinte, stand auf und griff zur Petroleumlampe. Sein Rücken
schmerzte, und er war hundemüde, doch er nahm nicht den Weg zum Schlafzimmer, aus dem Janes gleichmäßige Atemzüge zu hören
waren. Heute würde er keine Zeit zum Schlafen haben; ihn erwartete eine wirklich unruhige Nacht, dachte er, und dabei spielte
der Anflug eines Lächelns um seine Lippen. Im Licht der Lampe ging er durch den Flur, füllte ihn mit dem gedämpften Schurren
seiner Filzpantoffeln und stieg die Treppe zum Dachboden hinauf, wobei er darauf achtete, dass die Stufen nicht knarrten.
Oben erwartete ihn, glänzend und schön, vom unwirklichen Licht des Mondes beschienen, die Maschine. Das heimliche Ritual war
ihm zur Gewohnheit geworden, obwohl er nicht einmal sagen konnte, was ihm an diesem harmlosen und absurden Spiel so gefiel,
das darin bestand, sich einfach nur in die Maschine zu setzen, während seine Frau schlief. Vielleicht die Tatsache, dass er
sich darin, obwohl |552| er wusste, dass es nicht mehr als ein besonders schön gearbeitetes Spielzeug war, unwillkürlich als etwas Besonderes fühlte.
Wer immer sie hergestellt hatte, hatte liebevoll jedes Detail bedacht. Die Maschine mochte zwar nicht durch die Zeit reisen
können; aber dank ihrer wohlüberlegten Mechanik konnte man auf der Armaturenanzeige jedes beliebige Datum einstellen, die
fiktiven Ziele jener unmöglichen Reisen durch das Gefüge der Zeit.
Bislang hatte Wells nur die fernste Zukunft im Visier gehabt, wie das Jahr 802701, die Welt der Elois und Morlocks. Er hatte
sich ausschließlich auf ein Morgen konzentriert, in dem das Leben, wie er es kannte, vollkommen fremd und auf eine schmerzhafte
Weise sogar unverständlich war; aber er hatte auch Zeiten der Vergangenheit eingestellt, in denen er gern gelebt hätte, die
Zeit der Druiden etwa. In dieser Nacht jedoch stellte er spöttisch lächelnd den 20. Mai 2000 ein; das Datum, das dieser Hochstapler Gilliam Murray für die Entscheidungsschlacht der Menschheit gewählt hatte,
dieses kindische Theater, das zu seinem Erstaunen ganz England geschluckt hatte, dank seines eigenen Buches zum Teil. Welch
eine Ironie, dass er, der Autor des Romans einer Zeitreise, der Einzige war, der diese für unmöglich hielt! Er hatte ganz
England zum Träumen gebracht, doch er selbst war für diesen Traum unempfänglich.
Wie würde die Welt ein Jahrhundert später denn wirklich aussehen, fragte er sich. Er wäre gern einmal ins Jahr 2000 gereist;
nicht allein um des Vergnügens willen, es kennenzulernen, sondern auch, um mit diesen neumodischen Fotoapparaten dort ein
paar Fotos zu schießen und hinterher den arglosen Landsleuten, die vor Murrays Unternehmen Schlange standen, das wahre Gesicht
der |553| Zukunft zu zeigen. Es war natürlich ein ganz unmöglicher Wunsch; aber er konnte immerhin so tun, als würde er ihn sich wahr
machen, dachte er, lehnte sich in seinem Sitz zurück und betätigte feierlich den Hebel. Sogleich spürte er das erregende Kribbeln
am ganzen Körper, welches ihn jedes Mal befiel, wenn er diese Handbewegung vollführte.
Als jedoch der Hebel diesmal einrastete, versank zu seiner Überraschung der ganze Dachboden in tiefe Dunkelheit. Das durchs
Dachfenster hereinfallende Mondlicht schien sich zurückzuziehen und wich einer undurchdringlichen Finsternis. Bevor er nur
annähernd begriff, was geschehen war, hatte er das schwindelerregende Gefühl, rasend schnell in die Tiefe zu stürzen. Er fühlte
sich schwerelos, wie in einem dunklen Nichts dahintreibend, das durchaus das Universum selbst sein mochte. Und während sein
Bewusstsein kollabierte, konnte er gerade noch
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