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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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bestätigt wurde. Danach legte er ihm seine Theorie dar: Einer der Männer aus der Zukunft, wahrscheinlich jener, der
     Hauptmann Shackleton genannt wurde, hatte sich als blinder Passagier in der
Cronotilus
versteckt und war mit ihnen zurück ins Jahr 1896 gefahren, wo er jetzt mit dieser todbringenden Waffe herumlief. Die Richtigkeit
     seiner Annahme vorausgesetzt, sagte er, blieben ihnen also zwei Möglichkeiten: Sie konnten ganz London nach diesem Shackleton
     durchkämmen, was Wochen dauern und keinerlei Erfolg garantieren würde; oder sich die Zeit sparen und ihn dort verhaften, wo
     sie ihn antreffen zu können wussten, nämlich am 20.   Mai des Jahres 2000.   Er, Garrett, könne mit zwei Beamten dorthin fahren und ihn verhaften, bevor er in ihre Zeit reisen konnte.
    «Außerdem», fügte er hinzu, um seinen verwirrt den Kopf schüttelnden Vorgesetzten doch noch zu überzeugen, «wenn Sie mir erlauben,
     Hauptmann Shackleton in der Zukunft festzunehmen, wird Ihre Abteilung viel Lob und Anerkennung ernten, weil uns etwas vollkommen
     Neues gelungen ist: die Verhaftung eines Mörders, bevor er seine Tat begehen kann.»
    Superintendent Arnold starrte ihn ungläubig an.
    «Wollen Sie damit sagen, wenn Sie ins Jahr 2000 reisen und den Mörder verhaften, wird das Verbrechen   … ungeschehen gemacht?»
    Garrett verstand, dass es einem Mann wie Superintendent |534| Arnold schwerfallen musste, dies zu begreifen. Dazu musste man schon nächtelang wach gelegen und alle Paradoxien der Zeitreisen
     durchgespielt haben, wie er selbst das getan hatte.
    «Davon bin ich überzeugt, Superintendent. Wenn ich ihn verhafte, bevor er seinen Mord begeht, wird unsere Gegenwart unweigerlich
     verändert. Wir haben dann nicht nur den Mörder gefasst, sondern auch ein Menschenleben gerettet, denn ich versichere Ihnen,
     die Leiche wird im selben Augenblick aus dem Leichenschauhaus verschwunden sein», behauptete Garrett, ohne sich selbst ganz
     darüber im Klaren zu sein, wie das vor sich gehen sollte.
    Thomas Arnold dachte einige Sekunden darüber nach, was Scotland Yard mit diesem Zeitenzauber gewinnen konnte. Zum Glück vermochte
     der begrenzte Verstand des Superintendent nicht abzusehen, dass, wäre der Mörder verhaftet, nicht nur die Leiche verschwinden
     würde, sondern auch das ganze Verbrechen nicht stattgefunden hätte, einschließlich des Gesprächs, das sie soeben geführt hatten.
     Es gäbe überhaupt keinen Mord aufzuklären. Nein, es gab definitiv nichts zu gewinnen, da nichts passiert war. Die Folgen der
     Verhaftung Shackletons in der Zukunft, bevor dieser in die Vergangenheit reisen und seinen Mord begehen konnte, waren so unvorhersehbar,
     dass selbst Garrett, als er in Ruhe darüber nachdachte, von einem Schwindelgefühl erfasst wurde. Was sollte man mit einem
     Mörder anfangen, der verhaftet worden war, bevor er sein Verbrechen begehen konnte? Kein Mensch würde sich erinnern, dass
     er jemanden umgebracht hätte. Wessen sollte er angeklagt werden? Oder würde seine Reise in die Zukunft ebenfalls in dieser
     kosmischen Abfallgrube verschwinden, |535| in der alles entsorgt wurde, was nie stattfand? Garrett wusste es nicht; aber ihm war klar, dass er der Auslöser von allem
     sein würde.
    Nach zwei Stunden beendete der völlig verwirrte Superintendent ihre Unterhaltung und versprach Garrett, sich noch am selben
     Abend mit dem Lordrichter und dem Premierminister zu treffen und ihnen die Angelegenheit, so gut er konnte, darzulegen. Garrett
     dankte ihm. Das hieß, dass er, falls nichts dazwischenkam, am nächsten Vormittag den Auftrag bekäme, Shackleton im Jahr 2000
     zu verhaften. Er würde dann unverzüglich ZEITREISEN MURRAY aufsuchen und bei Gilliam drei Plätze für die nächste Fahrt der
Cronotilus
buchen.
     
    Wie nicht anders zu erwarten, verbrachte Garrett die Wartezeit damit, weiter über den Fall nachzugrübeln. Lösen musste er
     ihn ja nicht mehr, da er den Mörder bereits hatte, und so beschränkte er sich darauf, über all die merkwürdigen Verzweigungen
     nachzudenken, die sich vor ihm auftaten und die er studieren wollte, als handelte es sich um das Netz einer ganz neuen Art
     von Spinne. Diesmal zog sich Garrett auch nicht in sein Büro zurück, um die ungewohnte Denkarbeit zu leisten, sondern er tat
     es auf einer Bank, die in der von Bäumen gesäumten Sloane Street stand, direkt vor der luxuriösen Villa des Spielzeugfabrikanten
     Nathan Ferguson. Er wusste nicht, ob dieser abscheuliche

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