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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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auf den Grund seines Besuchs zu sprechen zu kommen. Garrett räusperte sich und kam gleich zur Sache.
    «Wir leben in einer faszinierenden, aber auch schrecklich unsicheren Zeit, Mr.   Murray», sagte er, mit der kleinen Vorrede beginnend, die er einstudiert hatte. «Die Wissenschaft gibt die Richtung vor, und
     der Mensch muss ihr folgen. Vor allem müssen wir unsere Gesetze den neuen Entwicklungen anpassen, wenn sie weiterhin von Nutzen
     sein sollen. Das gilt für die Zeitreisen ganz besonders. Wir stehen am Beginn einer außergewöhnlichen Entdeckung, die die
     Welt, so wie wir sie kennen, zweifellos gänzlich umgestalten wird. Die Gefahren, die damit einhergehen, sind unvorhersehbar
     oder zumindest sehr schwer einzuschätzen. Und genau diese Gefahren sind es, über die ich mit Ihnen sprechen möchte, Mr.   Murray.»
    «Ich bin ganz Ihrer Meinung, Inspektor», sagte der Unternehmer. «Die Wissenschaft nimmt ihren Lauf, und die Welt wird bald
     nicht mehr wiederzuerkennen sein. Das zwingt uns, die Gesetze anzupassen und möglicherweise auch viele unserer Prinzipien
     zu überdenken, wie man an den Zeitreisen sehen kann. Aber sagen Sie, über welche Gefahren möchten Sie mit mir sprechen? Ich
     muss gestehen, dass Sie mich neugierig gemacht haben.»
    Garrett richtete sich in seinem Sessel auf und räusperte sich noch einmal.
    «Vor zwei Tagen», begann er, «hat die Polizei in der Manchester Street, in Marylebone, die Leiche eines Mannes gefunden. Die
     Wunde, die seinen Tod verursacht hat, war so ungewöhnlich, dass man den Fall an uns weitergegeben hat. Die Wunde besteht aus
     einem gewaltigen Loch in der Brust. Es hat einen Durchmesser von dreißig Zentimetern, |546| und die Wundränder sind versengt. Unsere Gerichtsmediziner sind vollkommen ratlos. Sie behaupten, keine Waffe könne eine derartige
     Wunde verursachen.»
    Garrett machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor er mit ernstem Blick auf Murray hinzufügte:
    «Zumindest nicht hier, in unserer Zeit.»
    «Was wollen Sie damit sagen, Inspektor?», fragte Murray, dessen zur Schau gestellte Unbekümmertheit nicht recht zu dem passte,
     wie er in seinem Sessel hin und her rutschte.
    «Dass die Gerichtsmediziner recht haben», erwiderte Garrett, «und so eine Waffe noch nicht erfunden ist. Aber ich habe sie
     schon gesehen, Mr.   Murray. Raten Sie, wo?»
    Gilliam antwortete nicht, sondern schaute sein Gegenüber nur wachsam an.
    «Ich habe sie im Jahr 2000 gesehen.»
    «Tatsächlich?», murmelte der Unternehmer.
    «Ja, Mr.   Murray. Ich bin überzeugt, dass die Wunde nur von der Waffe herrühren kann, die Hauptmann Shackleton und seine Männer benutzen.
     Von diesem Hitzestrahl, der eine Eisenrüstung durchdringt.»
    «Verstehe   …», sagte Gilliam leise wie für sich und mit ins Leere gerichtetem Blick. «Die Waffe der Soldaten der Zukunft, natürlich.»
    «So ist es. Ich glaube, dass einer von ihnen, wahrscheinlich Shackleton, unbemerkt in der
Cronotilus
zurückgefahren ist und sich jetzt in unserer Zeit aufhält, auf unseren Straßen unterwegs ist. Ich weiß nicht, warum er diesen
     Bettler getötet hat, und auch nicht, wo er sich versteckt hält; aber das ist auch nicht so wichtig, denn ich habe nicht vor,
     ganz London nach ihm abzusuchen.» Er zog das Dokument |547| aus der Innentasche seiner Jacke und reichte es dem Unternehmer. «Dies ist ein vom Premierminister unterzeichneter Haftbefehl,
     der mich ermächtigt, den Mörder am 20.   Mai des Jahres 2000 festzunehmen, noch bevor er den Mord begehen kann. Darum muss ich mit zwei Beamten an der in der nächsten
     Woche stattfindenden Zeitreise teilnehmen. Wenn wir in der Zukunft sind, werden wir uns unbemerkt von den Passagieren trennen,
     die Rückkehr der Reisenden der zweiten Expedition beobachten und, ohne Aufsehen zu erregen, die Person verhaften, die sich
     in der
Cronotilus
versteckt. Egal, um wen es sich dabei handelt.»
    Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, fiel dem Inspektor etwas auf, an das er bislang noch nicht gedacht hatte: Wenn sie
     die Rückkehr der Passagiere der zweiten Zeitreise beobachteten, würde er sich selbst sehen. Er hoffte nur, dass er darauf
     nicht ebenso heftig reagierte wie auf den Anblick von Blut. Er beobachtete Murray, der den Haftbefehl aufmerksam durchlas
     und ihn dann so lange stumm in der Hand hielt, dass Garrett schon glaubte, er versuche, die Beschaffenheit des Papiers zu
     ergründen.
    «Keine Sorge, Mr.   Murray», glaubte er hinzufügen zu müssen,

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