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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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entstanden war. Wie Sie von außen gesehen haben werden, ist das Theatergebäude nicht besonders
     groß, deswegen kommt niemandem der Verdacht, darin könne sich eine riesige Dekoration befinden, die das London des Jahres
     2000 nur nachstellt. Danach habe ich in nur knapp zwei Monaten naturgetreu und bis ins kleinste Detail genau jenes Szenarium
     nachgebaut, das ich in meinem Roman beschrieben habe. In Wirklichkeit ist es gar nicht so groß, wie es scheint, aber wenn
     man unauffällig im Kreis geführt wird, wirkt es gewaltig, oder?»
    Dann waren sie also die ganze Zeit im Kreis gelaufen? Wells konnte seinen Ärger kaum unterdrücken. Aber wenn dem so war, musste
     er zugeben, dass das Labyrinth einfallsreich angelegt war und die Geröllhalden und Mauerreste so geschickt arrangiert waren,
     dass alles noch weitläufiger wirkte und kein Mensch auf die Idee kommen konnte, sich in einer Bühnendekoration zu bewegen.
    «Meine Schlosser aus Gewächshauszeiten haben die Maschinenmenschen gebaut, die Sie vorhin so erschreckt haben, und auch die
     Rüstungen für Hauptmann Shackleton |570| und seine Männer», fuhr Gilliam in seinen Erklärungen fort, während er Wells durch eine Art von Hausruinen gebildeten Hohlweg
     führte. «Ursprünglich hatte ich vor, Berufsschauspieler zu engagieren, die die entscheidende Schlacht um die Zukunft der Menschheit
     nachstellen sollten, die ich im Übrigen persönlich choreographiert habe, um sie möglichst imposant und aufregend erscheinen
     zu lassen. Ich habe die Idee aber sogleich wieder verworfen, denn Theaterschauspieler sind in der Regel überdreht und eitel,
     und ich fürchtete, sie würden zu affektiert spielen, um die harten, stoischen Soldaten der Armee der Zukunft natürlich wirken
     zu lassen. Der Hauptgrund war jedoch, dass ich sie nur schwer zum Schweigen bringen könnte, wenn sie die Arbeit als unmoralisch
     empfänden. An ihrer Stelle suchte ich mir also eine Handvoll Herumtreiber, die schon rein äußerlich viel mehr den hartgekochten
     Burschen entsprachen, die sie darstellen sollten. Ihnen machte es nichts aus, unter schweren Eisenrüstungen zu schwitzen;
     und dass mein Unternehmen betrügerisch war, ließ sie vollkommen kalt. Trotzdem gab es ein paar Probleme; aber nichts, das
     sich nicht hätte lösen lassen», sagte er mit einem anzüglichen Lächeln zum Schriftsteller.
    Wells begriff, dass er ihm mit diesem schiefen Grinsen zweierlei zu verstehen geben wollte: dass er von seiner Beteiligung
     an der Romanze zwischen Miss Haggerty und Tom Blunt Bescheid wusste, und auch, dass er für dessen plötzliches Verschwinden
     verantwortlich war. Wells zwang sich zu einer Miene ungläubigen Schreckens, was Gilliam zufriedenzustellen schien. Am liebsten
     hätte er ihm natürlich die arrogante Selbstzufriedenheit aus dem Gesicht geschlagen und ihm erzählt, dass Tom seinen eigenen
     Tod |571| überlebt hatte. Vor zwei Nächten war er bei ihm in Woking aufgetaucht, um ihm für alles zu danken, was er für ihn getan hatte,
     und ihm noch einmal zu versichern, dass er ihn bloß rufen müsse, falls er einmal zwei kräftige Arme und zwei harte Fäuste
     brauchte.
     
    Der Hohlweg endete auf einer freien Fläche, die einmal ein kleiner Platz mit Bäumen gewesen sein mochte, die jetzt jedoch
     kahl waren und seltsam verkrüppelt aussahen. In der Mitte des Platzes sah Wells eine barock anmutende Straßenbahn stehen,
     an deren Seiten verchromtes Gestänge und Leitungen voller Ventile und Drehverschlüsse angebracht waren, die ihm bei näherer
     Betrachtung jedoch ohne jede Funktion zu sein schienen.
    «Und das ist die
Cronotilus
, eine dampfgetriebene Bahn mit dreißig Sitzplätzen», erklärte Gilliam, stolz auf das Seitenblech klopfend. «Die Passagiere
     steigen auf der anderen Seite ein, um ihre Reise in die Zukunft zu beginnen, und ahnen nicht, dass sich das Jahr 2000 im Nebenhaus
     befindet. Ich brauche sie bloß hierherzubringen. Sie sehen, die Entfernung beträgt höchstens fünfzig Meter», sagte er und
     zeigte auf einen Durchgang irgendwo im Dunst. «Aber für die Reisenden stellt sie ein ganzes Jahrhundert dar.»
    «Aber wie simulieren Sie denn die Reise durch die Zeit?», fragte Wells, der nicht glauben konnte, dass die Leute sich mit
     einer simplen Fahrt in der Straßenbahn zufriedengaben, wie futuristisch diese auch aufgedonnert war.
    Gilliam lächelte, als hätte er auf diese Frage nur gewartet.
    «Damit steht und fällt natürlich das ganze Unternehmen, wie

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