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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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gebietet
     es die Logik. Aber die Zeitreisen sind derartig neu, dass sich nur wenige einen Begriff davon machen, welche Widersprüche
     ihnen innewohnen. Wenn das Zeitloch stets zum selben Moment in der Zukunft führt, müssten da mindestens zwei Straßenbahnen
     stehen, da es bisher zwei Zeitreisen gegeben hat. Aber wie gesagt, Mr.   Wells, nicht jedem fällt das auf. Trotzdem habe ich solche Fragen einkalkuliert und den Darsteller, der den Führer durchs
     Jahr 2000 spielt, angewiesen, den Gästen zu erklären, dass die
Cronotilus
jedes Mal an einen anderen Platz gefahren wird, um derartige Zusammentreffen zu vermeiden.»
    Der Unternehmer schwieg, um Wells Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben, doch der Schriftsteller schien in |575| einem Abgrund von Gedanken versunken, die, seiner finsteren Miene nach zu urteilen, nur trübsinnig sein konnten.
    «Wie ich schon befürchtet hatte, als ich meine Reise ins Jahr 2000 in den Zeitungen bekannt machte», fuhr Gilliam schließlich
     in seinem Bericht fort, «wollten zahllose Wissenschaftler eine Erklärung von mir. Sie hätten sie sehen müssen, Mr.   Wells! In Horden kamen sie und erwarteten, dass ich ihnen irgendein Artefakt zeigte, das sie auseinandernehmen konnten. Aber
     ich war ja kein Wissenschaftler. Ich war bloß ein ehrbarer Unternehmer, der eine glückliche Entdeckung gemacht hatte. Nach
     dem Gespräch mit mir zogen die meisten indigniert ab. Sie konnten kaum ihren Ärger darüber verbergen, mit einer Art von Zeitreise
     konfrontiert worden zu sein, die sie weder analysieren noch unmöglich machen konnten, denn an Magie kann man nur glauben oder
     nicht glauben. Für einige jedoch klang meine Erklärung durchaus überzeugend; für ihren Schriftstellerkollegen Arthur Conan
     Doyle zum Beispiel. Der Schöpfer des unfehlbaren Sherlock Holmes ist einer meiner engagiertesten Fürsprecher geworden, wie
     Sie wissen werden, wenn Sie einmal einen seiner Artikel gelesen haben, in denen er meine Sache verteidigt.»
    «Doyle würde sogar an die gute Fee glauben», bemerkte Wells abfällig.
    «Möglich. Wir alle lassen uns gern etwas vormachen; es muss nur wahrscheinlich klingen. Sie sehen es ja mit eigenen Augen.
     Und ich muss Ihnen gestehen, dass mich die gelegentlichen Besuche unserer skeptischen Vertreter der Wissenschaft keineswegs
     stören; im Gegenteil, sie bereiten mir große Freude. Ich vermisse sie sogar manchmal, denn wo sonst finde ich so ein aufmerksames
     Publikum? |576| Wie habe ich es genossen, ihnen von den Abenteuern Tremanquais zu erzählen, der, wie Sie schon vermutet haben werden, eine
     versteckte Hommage an meinen verehrten Henry Rider Haggart ist, den Verfasser von
König Salomons Bergwerke
. Und in der Tat ist Tremanquai ein Anagramm von Quartermain, dem Nachnamen seines bekanntesten Abenteurers, der   …»
    «Und keiner dieser Wissenschaftler wollte das   … Zeitloch sehen?», unterbrach ihn Wells, der immer noch nicht glauben wollte, dass alles so simpel war.
    «O doch, natürlich. Viele wollten nicht gehen, bevor sie es mit eigenen Augen gesehen hatten. Aber an diesen Fall hatte ich
     gedacht. Ich hatte nämlich einen eisernen Kasten bauen lassen, genau wie den, den ich für meine Geschichte erfunden hatte
     und in dem sich angeblich das Zeitloch befand. Diejenigen, die es unbedingt sehen wollten, forderte ich auf, den Kasten zu
     betreten, wies sie jedoch darauf hin, dass ich die Tür hinter ihnen verschließen müsse, um zu verhindern, dass die blutrünstigen
     Drachen der vierten Dimension in unsere Zeit eindrängen. Glauben Sie, dass sich jemand getraut hat?»
    «Vermutlich nicht», brummte Wells entmutigt.
    «Da haben Sie recht», bestätigte der Unternehmer. «In Wirklichkeit beruht alles auf einem großen leeren Kasten, in dem sich
     nichts anderes befindet als unsere Ängste. Das ist ebenso poetisch wie lustig, nicht wahr?»
    Der Schriftsteller schüttelte den Kopf, peinlich berührt von der Naivität seiner Mitmenschen, vor allem aber von dem mangelnden
     Schneid der Wissenschaftler, wenn es darum ging, für eine empirische Beobachtung ihr Leben zu riskieren.
    |577| «So, Mr.   Wells, nun wissen Sie, wie ich meine Kunden in die Zukunft führe. Die erste Zeitreise war ein voller Erfolg», sagte Gilliam
     stolz. «Und ich muss Ihnen gestehen, keiner war mehr überrascht als ich selbst, dass meine Lüge so gut funktionierte. Aber,
     wie gesagt, die Leute sehen nur, was sie sehen wollen. Ich hatte jedoch kaum Zeit, meinen Erfolg

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