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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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leisten
     zu können. Das führte dazu, dass ich die Welt als ein Kartenspiel betrachtete, das ich von vornherein gewonnen hatte, und
     natürlich langweilte mich das bald. Zudem starb mein Vater in dieser Zeit, und so wurde ich noch reicher, denn ich war sein
     einziger Erbe. Dadurch wurde mir aber auch schmerzlich bewusst, dass die meisten Menschen sterben, ohne ihre Träume verwirklicht
     zu haben. Mochte mein Vater von außen gesehen auch ein beneidenswertes Leben geführt haben, so wusste ich doch, dass es nicht
     erfüllt gewesen war, und um mein eigenes würde es nicht besser bestellt sein. Ich war überzeugt, mit demselben unzufriedenen
     Ausdruck im Gesicht zu sterben wie er. Vielleicht habe ich mich deswegen in die Literatur geflüchtet, um diesem eintönigen
     und vorhersehbaren |562| Leben zu entkommen, das sich vor mir auftat. Jeder kommt aus einem bestimmten Grund zum Lesen, meinen Sie nicht, Mr.   Wells? Wie sind Sie dazu gekommen?»
    «Ich habe mir mit acht Jahren ein Bein gebrochen», antwortete Wells apathisch.
    Gilliam warf ihm einen etwas verunsicherten Blick zu, doch dann nickte er zufrieden.
    «Ich nehme an, Genies wie Sie fangen in diesem Alter an», sagte er nachdenklich. «Bei mir hat es etwas länger gedauert. Bis
     zu meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr habe ich nie einen Zugang zu der Bibliothek gefunden, die mein früh verwitweter Vater
     in einem Seitenflügel unseres Hauses aufgebaut hatte und die für ihn wahrscheinlich nur eine weitere Möglichkeit darstellte,
     sein Geld loszuwerden, das er ohne die Hilfe meiner Mutter nicht mehr auszugeben wusste. Kein Mensch hätte all die Bücher
     je gelesen, wenn ich es nicht getan hätte. Ich habe sie allesamt verschlungen, absolut alle. So bin ich ans Lesen gekommen.
     Es ist nie zu spät, oder was glauben Sie? Ich muss allerdings gestehen, dass ich kein allzu anspruchsvoller Leser war. Jedes
     Buch, das mir ein anderes Leben als mein eigenes nahebrachte, war für mich zumindest interessant. Aber Ihr Roman, Mr.   Wells   … Ihr Roman hat mich gefesselt wie kein anderer zuvor. Sie erzählten nicht von der Welt, die ich kannte, wie Dickens das tat;
     oder von exotischen Schauplätzen in Afrika oder Malaysia, wie Haggard oder Salgari; und auch nicht vom Mond, wie Verne es
     getan hat. Nein,
Die Zeitmaschine
erzählte von etwas, das noch viel unerreichbarer war, nämlich von der Zukunft. Und Sie waren der Erste, der es gewagt hat,
     sie uns zu zeigen.»
    Wells zuckte nur die Achseln und versuchte nicht über |563| den Hund zu stolpern, der die ärgerliche Angewohnheit hatte, ihm um die Beine zu laufen. Verne, wer sonst, war ihm natürlich
     zuvorgekommen, aber das brauchte er Gilliam Murray nicht auf die Nase zu binden. Der Unternehmer ließ sich von Wells’ Gleichgültigkeit
     nicht bremsen.
    «Wie Sie wissen, haben seitdem viele andere, wahrscheinlich von Ihrem Roman inspiriert, ihre Sicht der Zukunft veröffentlicht.
     Die Schaufenster der Buchhandlungen waren plötzlich voll von Zukunftsromanen. Ich habe sie alle gekauft und in langen schlaflosen
     Nächten verschlungen, und dann wusste ich, dass diese neue Literatur von nun an meine einzige Lektüre sein würde.»
    «Ich bedaure, dass Sie sich entschlossen haben, Ihre Zeit mit der Lektüre dieser Machwerke zu vertun», knurrte Wells, der
     diese Art von Literatur als einen unangenehmen Auswuchs des zu Ende gehenden Jahrhunderts betrachtete.
    Gilliam schaute ihn überrascht an und brach dann in lautes Gelächter aus.
    «Natürlich ist die Qualität dieser Werke höchst bescheiden», sagte er, nachdem er sich wieder gefangen hatte, «aber das hat
     mich nie gestört. Die Verfasser dieser Machwerke, wie Sie sie nennen, besitzen für mich etwas, das mehr wert ist als die Fähigkeit,
     schöne Sätze zu drechseln. Sie besitzen eine visionäre Intelligenz, die mir Bewunderung abnötigt und mich neidisch macht.
     Die meisten begnügen sich damit, zu erzählen, wie eine völlig unwahrscheinliche Erfindung das Leben der Menschen verändert.
     Haben Sie den Roman von diesem jüdischen Erfinder gelesen, der eine Maschine baut, die alles vergrößert? Ein wirklich schreckliches
     Buch; aber ich muss Ihnen gestehen, dass mich die Vorstellung |564| von einer Armee von Riesenkäfern, die den Hyde Park verwüstet, in Angst und Schrecken versetzt hat. Zum Glück ist nicht alles
     so. Von solchen Phantastereien abgesehen, gibt es Romane, die eine Zukunft beschreiben, deren Wahrscheinlichkeitsgehalt

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