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Die Landkarte der Zeit

Titel: Die Landkarte der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Félix J. Palma
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Schritte auf der Straße verklangen, senkte er die Waffe und
     versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Ob das der Mann war, der Wells’ Freund getötet hatte? Er wusste es nicht; aber da der
     Mann geflohen war, war es auch nicht mehr von allzu großer Bedeutung. Andrew vergaß ihn und begann, die Efeuranken hinaufzuklettern.
     Er musste dies einhändig tun, da die Schulterwunde schmerzhaft zu pochen begann, |246| sobald er den Arm beanspruchte. Dennoch schaffte er es bis zum Dachboden, wo die Zeitmaschine auf ihn wartete. Erschöpft und
     vom Blutverlust etwas schwindlig, ließ er sich in den Sitz fallen. Dann stellte er das Datum der Rückkehr ein, und nachdem
     er sich mit einem letzten zärtlichen Blick vom Jahr 1888 verabschiedet hatte, zog er den kristallenen Hebel entschlossen nach
     unten.
    Diesmal empfand er keine Furcht, als die Blitze zu sprühen begannen; nur das angenehme Gefühl, nach Hause zu kommen.

|247| XVI
    Als die Funken endlich zu stieben aufhörten und nur noch einige traurige Federwölkchen durch die Luft schwebten, als hätte
     auf dem Dachboden eine Kissenschlacht stattgefunden, sah Andrew erstaunt, dass Charles, Wells und dessen Frau noch in derselben
     Haltung an der Tür zusammengedrängt standen, wie er sie zurückgelassen hatte. Er begrüßte sie mit einem gewollt triumphierenden
     Lächeln, das der stärker werdende Schmerz der Wunde jedoch in eine hinfällige Grimasse verwandelte. Als er sich erhob, um
     aus der Maschine zu steigen, konnten die anderen das Blut sehen, das seinen ganzen linken Ärmel durchtränkte und auf den Boden
     zu tropfen drohte.
    «Um Himmels willen, Andrew!», rief sein Cousin und eilte zu ihm. «Was ist passiert?»
    «Nicht der Rede wert, Charles», antwortete er, nach Halt suchend. «Ist bloß ein Kratzer.»
    Wells nahm seinen anderen Arm, und beide halfen sie ihm die Dachbodenleiter hinunter. Er versuchte, aus eigener Kraft zu gehen,
     doch als er sah, dass die beiden seine Bemühungen ignorierten, ließ er sich brav in ein kleines Wohnzimmer führen, wie er
     sich auch mit fliegenden Schößen von einer Horde Dämonen mitten in die Hölle hätte geleiten lassen. Ihm blieb auch gar nichts
     anderes |248| übrig, da die angestaute Spannung, der Blutverlust und der anstrengende Galopp ihm sämtliche Kräfte geraubt hatten. Er wurde
     vorsichtig in einen Sessel in der Nähe des Kamins bugsiert, in dem ein lebhaftes Feuer brannte. Nachdem Wells, etwas ungehalten,
     wie Andrew schien, die Wunde untersucht hatte, beauftragte er seine Frau, Verbände und alles Nötige beizubringen, um die Blutung
     zu stoppen. Fehlte bloß, dass er sie zu besonderer Eile ermahnt hätte, damit der munter sprudelnde Blutfluss nicht seinen
     Teppich beschmutzte. Die wohltuende Wärme des Feuers verscheuchte Andrews Schüttelfrost, machte ihn aber auch schläfrig. Charles
     hatte die glückliche Idee, ihm ein Glas in die Hand zu geben, und half ihm sogar, es zum Mund zu führen. Der Brandy milderte
     das Schwindelgefühl und auch die schwere Trägheit, die sich in Andrews Körper ausgebreitet hatte. Kurz darauf erschien Jane
     und verband seine Wunde mit den erfahrenen Händen einer Frontkrankenschwester. Sie schnitt seinen Jackenärmel mit einer Schere
     ab und versorgte die Stichwunde mit Salben und Auflagen, die ihn die Zähne zusammenbeißen ließen, da es höllisch brannte.
     Nach einem abschließenden Verband trat sie zurück und betrachtete zufrieden ihr Werk. Erst nachdem diese Erste Hilfe geleistet
     war, bildete das gemischte Rettungsteam nun eine erwartungsvolle Gruppe, die sich um den Sessel des entkräfteten Andrew scharte.
     Jetzt erwarteten sie seinen Bericht. Als hätte er es geträumt, erinnerte sich Andrew an den am Boden liegenden Ripper und
     an Marie, die ihm die Augen schloss. Das konnte nur bedeuten, dass er erfolgreich gewesen war.
    «Ich habe es geschafft», verkündete er und versuchte, |249| den Triumph über seine Mattigkeit siegen zu lassen. «Ich habe Jack the Ripper getötet.»
    Seine Worte hatten einen freudigen Tumult zur Folge, den er mit vergnügtem Staunen zur Kenntnis nahm. Sie begruben ihn unter
     einer Lawine begeisterter Klapse auf die Schulter, fielen sich gegenseitig in die Arme und stießen Hochrufe aus, und die Erregung
     erklomm Höhen, als feiere man Neujahr oder irgendein heidnisches Fest. Als sie sich der Übertriebenheit ihrer Reaktion bewusstwurden,
     beruhigten sie sich wieder und betrachteten Andrew mit einer Mischung aus Zärtlichkeit

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