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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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hatte ich noch immer blaue Flecke von seinen Schlägen und Tritten am Körper. Ich lehnte die Haustür an und flüsterte ihr etwas ins Ohr, damit sie ihn nicht kommen hörte. Sachen, die sie liebte.
    Als er in der Küchentür stand, sah ich sein Spiegelbild im Fenster.
    Tags darauf ist er ausgezogen. Irene und Stein bekamen zu hören, dass Mama und Papa ein paar Probleme hätten und zurzeit nicht so gut aufeinander zu sprechen seien, weshalb sie sich eine Weile trennen wollten. Irene war am Boden zerstört. Stein war in seiner Unistadt, er ging nicht ans Telefon, antwortete aber später per SMS. »Traurig. Zu wem soll ich denn an X-mas kommen?«
    Irene weinte und weinte. Sie liebte mich. War doch klar, dass sie mich suchen würde, mich, den Dieb.
    Die Kirchenglocke schlägt zum fünften Mal. Weinen und Schluchzen aus den Reihen. Kokain, Wahnsinnsgewinne. Miete dir eine Wohnung im noblen Westen des Zentrums, registriere sie auf den Namen irgendeines Junkies, der dir für einen Schuss seinen Namen borgt, und verkaufe kleine Mengen im Treppenhaus oder an der Tür. Treib den Preis in die Höhe, wenn die Leute sich sicher fühlen. Diese Koks-Sniffer zahlen, was du willst, wenn du sie nur in Sicherheit wiegst. Komm hoch, los, komm nach vorn, nimm weniger Dope und mach was aus dir. Und verrecke nicht wie irgendein Verlierer in so einem Loch. Der Pastor räuspert sich. »Wir sind hier zusammengekommen, Gusto Hanssens zu gedenken.«
    Eine Stimme von ganz hinten: »Dem D-d-dieb.«
    Tutus Stottern, der in MC-Jacke und Piratenkopftuch dasitzt. Und noch weiter entfernt, das Winseln eines Hundes. Rufus. Guter, treuer Rufus. Seid ihr zu mir zurückgekommen? Oder bin ich bereits bei euch?
    Tord Schultz legte den Samsonite-Koffer auf das Förderband der Durchleuchtungsanlage und nickte dem lächelnden Wachmann zu.
    »Ich kapiere nicht, warum du dich nicht gegen deinen Flugplan wehrst«, sagte die Stewardess. »Zweimal in der Woche nach Bangkok!«
    »Ich habe selbst darum gebeten«, sagte Tord und ging durch den Metalldetektor. Jemand in der Gewerkschaft hatte offen mit Streik gedroht und dagegen protestiert, dass die Crewmitglieder mehrmals täglich dieser Strahlung ausgesetzt wurden, nachdem eine Studie in den USA zu dem Ergebnis gekommen war, dass Piloten und Flugbegleiter überdurchschnittlich häufig an Krebs erkrankten. Die Streithähne hatten aber nichts davon gesagt, dass auch die durchschnittliche Lebenserwartung höher als normal war. Das Flugpersonal starb an Krebs, weil man ja an irgendetwas sterben musste. Sie führten die sichersten – und langweiligsten – Leben der Welt.
    »Du willst selber so viel fliegen?«
    »Ich bin Pilot, ich fliege gerne«, log Tord, nahm den Koffer vom Band, ließ die Stange des Handgriffs herausgleiten und setzte sich in Bewegung.
    Sie hatte schnell wieder zu ihm aufgeschlossen. Ihre Absätze klackerten so laut über den grauen Antique-foncé -Marmor, mit dem der Flughafenboden ausgelegt war, dass sie das Stimmengewirr, das den Raum unter dem hohen, von Holzbalken und Stahl getragenen Dach erfüllte, fast übertönten. Ihre leise geflüsterte Frage vermochten sie hingegen nicht zu übertönen:
    »Machst du das, weil sie dich verlassen hat, Tord? Weil du jetzt so viel Zeit hast und dein Leben so leer ist? Fällt dir zu Hause die Decke auf …«
    »Ich mache das, weil ich das Geld für die Überstunden brauche«, fiel er ihr ins Wort, was nicht einmal gelogen war.
    »Ich könnte das gut verstehen, weißt du. Ich bin ja selbst erst letzten Winter geschieden worden.«
    »Klar«, sagte Tord, der nicht einmal wusste, dass sie jemals verheiratet gewesen war. Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu. Fünfzig? Wie sie wohl morgens früh aussah, ohne Schminke und Selbstbräuner? Eine verblasste Stewardess mit verblassten Stewardessträumen. Er war sich ziemlich sicher, dass er nie etwas mit ihr gehabt hatte. Auf jeden Fall nicht von vorn. Wer hatte das noch immer gesagt? Bestimmt einer dieser alten Whiskey-on-the-Rocks-Piloten mit eisblauem Jagdfliegerblick. Einer von denen, die es geschafft hatten, pensioniert zu werden, bevor ihr Status havarierte. Er legte einen Schritt zu, als sie auf den Flur kamen, der zum Crewcenter führte. Sie war schon außer Atem, schaffte es aber noch, an ihm dranzubleiben. Vielleicht fehlte ihr aber die Luft zum Reden, wenn er das Tempo hielt.
    »Du, Tord, wir haben doch einen stay-over in Bangkok. Vielleicht könnten wir …«
    Er gähnte laut. Und spürte, auch ohne sich

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