Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
das glücklich gemacht hat und mein Leben so ein bisschen leichter wurde. Ich habe getan, was ich getan habe, weil du das zugelassen hast und weil ich es nun mal nicht sein lassen konnte. Ich bin eben, wie ich bin.
    Rolf. Du hast mich wenigstens nicht gebeten, dich Papa zu nennen. Und du hast wirklich versucht, mich liebzugewinnen. Aber es ist dir nicht gelungen, dich gegen deine Natur aufzulehnen, auch du musstest einsehen, dass du dein eigen Fleisch und Blut mehr liebtest, Stein und Irene. Wenn ich anderen gegenüber erwähnt habe, dass ihr »meine Pflegeeltern« seid, lag immer ein verletzter Ausdruck auf Mamas Gesicht. Und Hass auf deinem. Nicht weil ich euch durch den Begriff »Pflegeeltern« auf die einzige Funktion reduziert habe, die ihr für mich hattet, sondern weil ich damit die Frau verletzt habe, die du aus unbegreiflichen Gründen tatsächlich geliebt hast. Eigentlich glaube ich, dass du dich selbst so eingeschätzt hast, wie ich dich gesehen habe; als einen Menschen nämlich, der sich irgendwann im Leben, berauscht von seinem eigenen Idealismus, hat hinreißen lassen, die Verantwortung für ein Kuckuckskind zu übernehmen, was er schnell darauf heftig bereut hat. Die Rechenaufgabe ist irgendwie nicht aufgegangen. Der monatliche Betrag, den sie dir für deine Fürsorge bezahlt haben, hat die wirklichen Ausgaben nämlich bei weitem nicht gedeckt. Dafür war ich zu sehr Kuckuck. Habe alles gefressen, was du geliebt hast. Alle, die du geliebt hast. Du hättest das früher erkennen und mich aus dem Nest werfen müssen, Rolf! Schließlich hast du als Erster bemerkt, dass ich stahl. Zuerst nur einen Hunderter. Ich habe es geleugnet. Behauptet, den Schein von Mama bekommen zu haben. »Nicht wahr, Mama? Den hast du mir doch geschenkt!« Und »Mama« hat zögerlich genickt, mit Tränen in den Augen, und dann gesagt, sie habe das sicher nur vergessen. Beim nächsten Mal waren es tausend Kronen. Aus deiner Schreibtischschublade. Geld, das eigentlich für unsere Ferien gedacht war. »Das Einzige, was ich will, sind Ferien von euch«, antwortete ich, als du mich zur Rede gestellt hast. Und da schlugst du zum ersten Mal zu. Irgendwie schien das dann etwas in dir losgetreten zu haben, denn anschließend hast du weitergeschlagen. Ich war damals schon größer und breiter als du, habe mich aber nie aufs Prügeln verstanden. Nicht so, nicht mit Fäusten und Muskelkraft. Meine Art zu kämpfen war eine andere, eine Art, auf die man gewinnt. Aber du hast immer weitergeprügelt, mit geballter Faust. Warum, habe ich schnell kapiert. Du wolltest mein Gesicht kaputtmachen. Mir meine Macht nehmen. Aber die Frau, die ich Mama genannt habe, hat sich zwischen uns geworfen. Und da hast du es gesagt. Das Wort. Dieb. Wie wahr. Nur dass du damit dein eigenes Grab geschaufelt hast, denn jetzt musste ich dich zerstören, du kleiner Mann.
    Stein. Der stille große Bruder. Der Erste, der den Kuckuck an seinem Federkleid erkannt hat, aber klug genug war, Abstand zu halten. Der kluge, hintersinnige, smarte Eigenbrötler, der sich bei der erstbesten Gelegenheit in die am weitesten entfernte Unistadt abgesetzt hat. Allerdings nicht, ohne zuvor seine Schwester zu bearbeiten, mit ihm zu gehen. Er war der Meinung, dass sie ihre Schule auch in Trondheim abschließen konnte und dass es ihr sicher guttäte, aus Oslo rauszukommen. Aber Mama wehrte sich gegen Irenes Evakuierung. Sie hatte ja keine Ahnung. Wenn sie denn überhaupt etwas wissen wollte.
    Irene. Hübsche, nette, sommersprossige, zerbrechliche Irene. Du warst zu gut für diese Welt. Warst all das, was ich nicht war. Und hast mich trotzdem geliebt. Hättest du das auch getan, wenn du es gewusst hättest? Wenn dir klar gewesen wäre, dass ich deine Mama vögelte, seit ich fünfzehn war? Diese rotweinbetörte, winselnde Schnalle? Dass ich sie von hinten an die Klotür genagelt habe, an die Kellertür, die Küchentür, ihr dabei »Mama« ins Ohr geraunt habe, weil das sie und mich so aufgegeilt hat? Dass sie mir Geld gegeben hat, Geld und Rückendeckung, wenn etwas vorgefallen war, und immer gesagt hat, sie wolle mich nur für eine Weile ausborgen, bis sie zu alt und hässlich war und ich ein süßes Mädchen träfe. Wenn ich dann zu ihr sagte, »aber Mama, du bist doch alt und hässlich«, tat sie das mit einem Lachen ab und flehte mich um mehr an.
    An dem Tag, an dem ich ihn auf der Arbeit anrief und bat, bereits um drei Uhr nach Hause zu kommen, weil ich ihm etwas Wichtiges zu sagen habe,

Weitere Kostenlose Bücher