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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Gepäck sind Flugpapiere, die die anderen aus der Crew noch durchgehen müssen. Aber wenn Sie die Verantwortung dafür übernehmen wollen, dass ein vollbesetzter Airbus 340 nach Bangkok unbestimmte Verspätung hat …« Er spürte, dass er sich im wahrsten Sinne des Wortes aufgeblasen hatte. Seine Lungen spannten sich so, dass die Brustmuskulatur sich an den Stoff der Uniform presste. »Wenn wir unseren Slot verlieren, kann das zu einer stundenlangen Verspätung führen, und das würde die Fluggesellschaft Hunderttausende von Kronen kosten.«
    »Es tut mir leid, aber so sind die Vorschriften …«
    »Dreihundertundvierzig Passagiere«, fiel Schultz ihr ins Wort. »Viele davon Kinder.« Er hoffte, dass er sich wie ein wirklich besorgter Flugkapitän anhörte und nicht wie ein in Panik geratener Drogenschmuggler.
    Die Zollbeamtin tätschelte den Kopf des Hundes und sah ihn an.
    Sie wirkt wie eine Hausfrau, dachte er. Eine Frau mit Kindern und Verantwortung. Eine Frau, die seine Situation verstehen sollte.
    »Der Koffer kommt mit«, sagte sie.
    Ein anderer Zollbeamter tauchte im Hintergrund auf, blieb breitbeinig stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Dann lassen Sie uns das schnell hinter uns bringen«, sagte Tord und seufzte.
    Der Leiter des Dezernats für Gewaltverbrechen im Polizeidistrikt Oslo, Gunnar Hagen, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und studierte den Mann mit dem Leinenanzug. Es war drei Jahre her, dass die genähte Risswunde blutrot geglänzt und der Mann wirklich fertig ausgesehen hatte. Definitiv am Ende. Doch jetzt wirkte sein früherer Mitarbeiter gesund, er hatte sogar ein paar Kilo zugelegt, und die Schultern füllten den Anzug gut aus. Überhaupt – ein Anzug. Früher hatte sein Mordermittler immer nur Jeans und Boots getragen, nie etwas anderes. Nicht minder ungewohnt war der Anblick der aufgeklebten Gästekarte auf dem Revers seines Anzugs: Besucher HARRY HOLE . Nur die Art, wie er auf seinem Stuhl saß, erinnerte an früher, wenn man denn überhaupt von Sitzen sprechen konnte, denn eigentlich lag er mehr.
    »Du siehst besser aus«, sagte Hagen.
    »Deine Stadt auch«, sagte Harry und ließ die nicht angezündete Zigarette zwischen den Zähnen auf und ab wippen.
    »Findest du?«
    »Schöne Oper und ein paar weniger Junkies auf den Straßen.«
    Hagen stand auf und trat ans Fenster. Aus der sechsten Etage des Präsidiums reichte der Blick über Oslos neuen Stadtteil Bjørvika, der in der Sonne badete. Die Arbeiten waren dort unten in vollem Gange. Der Abriss endlich zu Ende.
    »Die Überdosisfälle sind im letzten Jahr deutlich zurückgegangen. Die Preise gestiegen, der Verbrauch gesunken. Die Stadtverwaltung hat wirklich erreicht, worauf sie es angelegt hatte. Oslo führt nicht mehr die europäische Überdosis-Statistik an.«
    »Happy days are here again.« Harry verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schien jeden Moment vom Stuhl zu rutschen.
    Hagen seufzte: »Du hast mir nicht gesagt, was dich nach Oslo führt, Harry?«
    »Habe ich das nicht?«
    »Nein, oder besser gesagt, hierher ins Morddezernat?«
    »Ist es nicht ganz normal, alte Kollegen zu besuchen?«
    »Ja, für andere, sozial veranlagte Menschen schon.«
    »Nun.« Harry biss in den Filter seiner Camel-Zigarette. »Mein Beruf ist ja Mord.«
    » War Mord, meinst du wohl?«
    »Drücken wir es anders aus; meine Profession, mein Fachgebiet ist Mord. Das ist noch immer das Einzige, wovon ich etwas verstehe.«
    »Also, was willst du?«
    »Meinen Beruf ausüben. In einem Mordfall ermitteln.«
    Hagen zog die Augenbrauen hoch: »Du willst wieder für mich arbeiten?«
    »Warum nicht? Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war ich doch einer der Besten.«
    »Falsch«, sagte Hagen und wandte sich wieder dem Fenster zu. »Der Übelsten, und der Beste.«
    »Ich würde mich gerne um einen Drogenmord kümmern.«
    Hagen lächelte trocken. »Um welchen? Wir haben vier allein in den letzten sechs Monaten. Und bei keinem sind wir auch nur eine Spur weitergekommen.«
    »Gusto Hanssen.«
    Hagen antwortete nicht, sondern studierte weiter die Menschen, die sich unten auf der Grasfläche räkelten. Die Assoziationen kamen ganz automatisch: Sozialschmarotzer, Diebe, Terroristen. Warum gingen seine Gedanken immer in diese Richtung? Warum konnte er in den Menschen da unten nicht einfach hart arbeitende Mitbürger sehen, die sich bloß eine wohlverdiente Auszeit in der Septembersonne gönnten? Der Blick eines Polizisten. Die Blindheit eines

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