Die Larve
er beinahe flüsternd.
»Der Hass«, sagte Harry. »Des Alten. Rudolf Asajev. Er hat gesagt, ich solle dem Hass folgen.«
»Wer ist das?«
»Der, den ihr Dubai genannt habt. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich kapiert hatte, dass er seinen eigenen Hass meinte. Seinen Hass auf dich. Weil du seinen Sohn getötet hast.«
»Seinen Sohn?« Oleg hob den Kopf und sah Harry ausdruckslos an.
»Ja, Gusto war sein Sohn.«
Oleg ließ den Kopf wieder sinken. Er saß zusammengekauert da und starrte zu Boden. »Wenn …« Er schüttelte den Kopf. Versuchte es noch mal. »Wenn es stimmt, dass Dubai Gustos Vater war und er mich wirklich so gehasst hat, warum hat er mich dann nicht gleich im Gefängnis umbringen lassen?«
»Weil er dich eben da haben wollte. Weil das Gefängnis für ihn schlimmer ist als der Tod, weil es einem die Seele auffrisst, der Tod hingegen befreit dich nur. Das Gefängnis war etwas, das Rudolf Asajev nur dem Menschen wünschte, den er über alles hasste. Dich, Oleg. Er war natürlich jederzeit informiert darüber, was du da gemacht hast.«
»Gemerkt habe ich das nicht, aber irgendwie verstanden.«
»Er wusste, dass du wusstest, dass man dich sofort fertiggemacht hätte, wenn du ausgepackt hättest. Erst als du angefangen hast, mit mir zu reden, wurdest du zu einer Gefahr für sie, da musste er sich damit begnügen, dich einfach nur umzubringen. Aber das ist ihm ja nicht gelungen.«
Oleg schloss die Augen und blieb unten in der Hocke. Als hätte er ein wichtiges Rennen vor sich, so dass sie still sein mussten, sich konzentrieren.
Draußen spielte die Stadt ihre Musik ab; die Autos, das entfernte Horn eines Schiffes, eine halbherzige Sirene, die Geräusche des Ameisenhaufens, ein immerwährendes Rauschen, monoton, einschläfernd, aber auch Sicherheit schenkend, wie eine warme Decke.
Oleg beugte sich langsam nach unten, ohne den Blick von Harry zu nehmen.
Harry schüttelte den Kopf.
Aber Oleg nahm die Pistole in die Hand. Vorsichtig, als hätte er Angst, sie könne explodieren.
Kapitel 43
T ruls war in die Einsamkeit draußen auf der Terrasse geflohen.
Er war von Grüppchen zu Grüppchen gelaufen, hatte sich etwas am Rand postiert, den Gesprächen nur mit halbem Ohr zugehört, von dem Finger-Food gegessen und versucht, interessiert zu wirken. Ein paar der wohlerzogenen Menschen hatten sogar versucht, ihn in ihre Gespräche mit einzubeziehen. Sie hatten ihn begrüßt, sich erkundigt, wer er war und was er machte. Truls hatte die Fragen kurz angebunden beantwortet, ohne selbst aber auch nur eine entsprechende Gegenfrage zu stellen. Er fühlte sich nicht in der Position dazu und fürchtete, wissen zu müssen, wer sie waren oder welche wahnsinnig wichtigen Positionen sie bekleideten.
Ulla war damit beschäftigt, aufzutragen und zu lächeln, wobei sie mit den Leuten wie mit alten Bekannten redete. Nur wenige Male hatte Truls einen Augenkontakt herstellen können, und in diesen seltenen Momenten hatte sie ihm lächelnd zu verstehen gegeben, dass sie ja gerne mit ihm reden würde, aber ihren Gastgeberpflichten nachkommen musste. Es zeigte sich, dass keiner der anderen Jungs aus dem Trachtenverein des Präsidiums Zeit gehabt hatte zu erscheinen, und weder die Dezernatsleiter noch der Polizeichef hatten Truls wiedererkannt. Am liebsten hätte Truls laut herausposaunt, dass er der Beamte war, der den Gefangenen damals fast blind geschlagen hatte.
Aber die Terrasse war schön. Zu seinen Füßen lag Oslo, glitzernd wie ein Diadem.
Mit dem Hochdruckgebiet war auch die herbstliche Kälte gekommen. Für etwas höhere Lagen war sogar der erste Nachtfrost angekündigt worden. Er hörte entfernte Sirenen. Ein Krankenwagen. Und mindestens ein Streifenwagen. Die Geräusche kamen irgendwo unten aus dem Zentrum. Am liebsten hätte Truls sich weggeschlichen und den Polizeifunk eingeschaltet. Um zu hören, was vor sich ging. Um den Puls seiner Stadt zu fühlen. Zu spüren, dass er dazugehörte.
Die Terrassentür öffnete sich, und Truls trat automatisch zwei Schritte zurück in den Schatten, um nicht von dem nächsten Gespräch gedemütigt zu werden.
Es war Mikael. Und diese Politikerin. Isabelle Skøyen.
Sie war offensichtlich angetrunken, auf jeden Fall stützte Mikael sie. Eine kräftige Frau. Sie überragte ihn. Sie stellten sich seitlich mit dem Rücken zu Truls an das Geländer, so dass sie von drinnen nicht zu sehen waren.
Mikael stand hinter ihr, und Truls wartete auf die Flamme eines Feuerzeugs, um
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