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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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vermutlich aber diverse schreckliche Geschichten darüber gehört hatte, was in den Gefängnisduschen so alles passierte. Auf jeden Fall platzte er schon beim ersten Verhör wie ein Ei in der Mikrowelle. Er verriet den ganzen Plan inklusive der Geschichte mit dem Brenner und hoffte als Gegenleistung auf ein mildes Urteil. Nun: Die Polizei brauchte natürlich Beweise gegen den Brenner und versteckte ein Mikro in der Zelle des Albaners. Aber der Brenner, der korrupte Polizist, tauchte nicht wie abgesprochen auf, sondern wurde sechs Monate später auf einem Tulpenfeld gefunden. Zerlegt in Einzelteile. Ich komme aus der Großstadt, denke aber, dass das ein guter Dünger ist.«
    Berntsen hielt inne und sah den Flugkapitän an, als wartete er auf eine Antwort.
    Der Kapitän hatte sich auf der Pritsche aufgesetzt. Sein Gesicht war nicht mehr ganz so blass. Dann räusperte er sich und fragte: »Warum … der Brenner? Der hat doch nichts gesagt?«
    »Weil es keine Gerechtigkeit gibt, Schultz. Nur notwendige Lösungen und praktische Probleme. Der Brenner, der die Beweise beseitigen sollte, war selbst zu einem Beweis geworden. Er war enttarnt und konnte die Ermittler zu den Kosovo-Albanern führen, sollte die Polizei ihn in die Finger bekommen. Und da der Brenner kein kosovo-albanischer Bruder, sondern nur ein bezahlter Hurensohn war, lag es nahe, ihn einfach zu exekutieren. Außerdem war klar, dass die Polizei kaum Ressourcen für den Mord aufwenden würde, obwohl das Opfer ein Polizist war. Warum auch? Der Brenner hatte seine Strafe bekommen, und die Polizei nahm keine Ermittlungen auf, die die Öffentlichkeit auf einen korrupten Polizisten aufmerksam machten. Verstanden?«
    Schultz antwortete nicht.
    Berntsen beugte sich vor. Seine Stimme wurde leise, aber intensiver: »Ich habe keine Lust, auf einem Tulpenfeld gefunden zu werden, Schultz. Es gibt für Sie und mich nur eine Möglichkeit, aus dieser Sache rauszukommen. Wir müssen einander vertrauen. Ein Fallschirm, ist das klar?«
    Der Flugkapitän räusperte sich. »Und was ist mit dem Kosovo-Albaner passiert? Hat er seinen Straferlass bekommen?«
    »Schwer zu sagen. Er wurde noch vor Beginn des Verfahrens tot an der Wand seiner Zelle gefunden. Aufgehängt. In seinem Hinterkopf steckte ein Kleiderhaken.«
    Der Flugkapitän wurde wieder blass.
    »Atmen Sie, Schultz«, sagte Truls Berntsen und genoss einmal mehr seinen Job. Endlich hatte er die Kontrolle und das Sagen.
    Schultz ließ sich auf der Pritsche nach hinten fallen und lehnte den Kopf an die Wand. Er schloss die Augen. »Und wenn ich schon jetzt alle Hilfe ablehne und wir so tun, als wären Sie nie hier gewesen?«
    »Das hilft auch nichts. Ihr und mein Arbeitgeber will Sie nicht im Zeugenstand sehen.«
    »Dann … dann habe ich gar keine Wahl?«
    Berntsen lächelte. Und brachte seinen Lieblingssatz.
    »Die Wahl, Schultz, das ist ein Luxus, den Sie schon lange nicht mehr haben.«
    Valle Hovin Stadion. Eine kleine Oase aus Beton inmitten einer Wüste aus grünen Wiesen, Birken, Gärten und Terrassen mit Blumenkübeln. Im Winter wurde das Stadion als Eisfläche genutzt, im Sommer als Konzertarena, groß genug für Dinosaurier wie die Rolling Stones, Prince oder Bruce Springsteen. Rakel hatte Harry sogar einmal überreden können, mit ihr zu einem U2 -Konzert zu gehen, obwohl er immer eher ein Clubmensch gewesen war und Stadionkonzerte hasste. Rakel hatte das später aufgegriffen und Harry damit aufgezogen, dass er tief in seinem Inneren ein musikalischer Kleingeist war.
    Die meiste Zeit des Jahres aber lag Valle Hovin – wie jetzt – verwaist da, verfallen, wie eine stillgelegte Fabrik, die irgendwann einmal etwas produziert hatte, das niemand mehr brauchte. Harrys beste Erinnerungen an diesen Ort waren die Ausflüge mit Oleg. Er hatte ihm beim Eislaufen zugesehen, beim Trainieren, beim Kämpfen, beim Scheitern und bei seinen erneuten Versuchen, bis er endlich den ersehnten Erfolg gehabt hatte. Kleine Siege wie eine neue persönliche Bestzeit oder ein zweiter Platz bei der Jugend-Vereinsmeisterschaft. Für Harry aber mehr als genug, sein dummes Herz vor Stolz zu einer solch absurden Größe anschwellen zu lassen, dass er ein bewusst gleichgültiges Gesicht aufsetzen musste, damit die Situation nicht für sie beide unerträglich wurde. »Nicht schlecht, Oleg.«
    Harry sah sich um. Es war kein Mensch zu sehen. Dann steckte er den Ving-Schlüssel in das Schloss der Garderobentür unterhalb der Tribüne. Drinnen war alles

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