Die Larve
Gefahr, eine Beute, ein Sparringspartner. Oder – wie in deinem Fall – möglicherweise ein Seelenverwandter. Man sah dir deine Einsamkeit an. Du hast sie getragen wie einen langen, schweren Mantel. Oleg mit dem gebeugten Rücken und dem schlurfenden Gang. Genau wegen dieser Einsamkeit habe ich dich ausgesucht, gesagt, dass ich dir eine Cola ausgebe, wenn du mir von diesem Amsterdam-Konzert erzählst.
Also hast du über Judas Priest geredet, über das Konzert in der Heineken Music Hall zwei Jahre zuvor und über die beiden achtzehn und neunzehn Jahre alten Freunde, die sich mit einem Gewehr erschossen haben, nachdem sie die Priest-Platte mit der versteckten Nachricht »do it« gehört hatten. Nur dass der eine der beiden überlebt hatte. Priest war Heavy Metal, manchmal mit Ausflügen zum Speed Metal. Zwanzig Minuten später hattest du so viel über Goth und Death geredet, dass es an der Zeit war, das Gespräch auf Meth zu bringen.
»Komm, gehen wir nach oben auf den Hügel, Oleg. Feiern wir dieses Treffen von uns zwei Zwillingsseelen ein bisschen, oder?«
»Wie meinst du das?«
»Ich kenne ein paar Leute, die im Park etwas rauchen wollten. Die machen da Party.«
»Ja?« Skeptisch.
»Keine harten Sachen, nur ein bisschen Ice.«
»Ich mach so was nicht, sorry.«
»Mann, ich mach das sonst doch auch nicht. Aber ein paar Züge von einer Pfeife können doch nicht schaden. Du und ich. Echtes Ice, nicht diese Pulverscheiße. Genau wie Rob.«
Oleg hielt mitten in einem Schluck Cola inne. »Rob?«
»Ja.«
»Rob Halford?«
»Klar. Sein Roadie war bei demselben Kerl Kunde, bei dem ich uns jetzt gleich was hole. Hast du Geld?«
Die Worte kamen ganz leicht über meine Lippen, ganz beiläufig, so dass nicht der Anflug von Misstrauen in deinem ernsten Blick zu erkennen war. »Rob Halford raucht Ice?«
Er rückte die fünfhundert Kronen heraus, um die ich ihn bat. Dann stand ich auf, forderte ihn auf zu warten und ging. Über die Straße in Richtung Vaterlands bru. Als ich außer Sichtweite war, ging ich nach rechts über die Straße und die dreihundert Meter hinunter in Richtung Hauptbahnhof. Ich dachte, dass ich Oleg fucking Fauke nie wiedersehen würde.
Erst als ich mit einer Pfeife im Mund im Tunnel unter den Gleisen saß, kapierte ich, dass ich mich geirrt hatte. Total. Er stand vor mir, ohne ein Wort zu sagen. Lehnte den Rücken an die Wand und ließ sich neben mir zu Boden gleiten. Streckte die Hand aus. Ich gab ihm die Pfeife. Er inhalierte. Hustete. Und streckte die andere Hand aus. »Das Wechselgeld.«
Das war die Geburtsstunde des Teams Gusto-Oleg. Jeden Tag, wenn er bei Clas Ohlson fertig war, wo er einen Sommerjob im Lager hatte, gingen wir runter in die Oslo City, die Parks, badeten im Dreckwasser des Mittelalterparks und sahen zu, wie sie rund um das Opernhaus den neuen Stadtteil hochzogen.
Wir erzählten uns gegenseitig, was wir alles tun und werden wollten, wohin wir mal reisen wollten, und rauchten und snifften, was wir für sein Sommerjobgeld kriegen konnten.
Ich erzählte, dass mein Pflegevater mich rausgeschmissen hatte, weil meine Stiefmutter mich angebaggert hatte. Und du, Oleg, sprachst von einem Typen, mit dem deine Mutter zusammen gewesen war, einem Bullen namens Harry, der angeblich top notch gewesen ist. Das waren deine Worte. Jemand, auf den du dich verlassen konntest. Trotzdem war irgendwie was dazwischengekommen. Erst zwischen ihn und deine Mutter. Dann wart ihr in einen Mordfall hineingezogen worden, an dem er arbeitete. Deine Mutter hatte daraufhin genug und zog mit dir nach Amsterdam. Ich hab gesagt, dass der Typ sicher »top notch« gewesen sei, aber dass so etwas heute niemand mehr sagte. Du meintest daraufhin, dass es ebenso out sei, ständig fucking zu sagen, und dass das eigentlich auch fuck hieße, aber deshalb nicht minder kindisch sei. Überhaupt wolltest du wissen, warum ich so ein blödes Cockney-Norwegisch redete, ich sei ja nicht mal aus dem Osten der Stadt. Ich konnte darauf nur antworten, dass ich gerne übertrieb, dass das so etwas wie ein Lebensprinzip von mir war und »fucking« das irgendwie zeigte. Vielleicht weil es so falsch war, dass es fast schon wieder stimmte. Oleg sah mich an und sagte, ich sei so dermaßen durch den Wind, dass das tatsächlich irgendwie schon wieder passte. Die Sonne schien, und irgendwie war das für mich das Schönste, was mir jemals jemand gesagt hatte.
Wir schnorrten zum Spaß auf der Karl Johan, und ich klaute auf dem
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