Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
abgefuckten Ecken dieser Welt teilen. Zwischen der Ankerbrua und dem Hafen war er bestimmt der Einzige, der fließend Norwegisch sprach.
    Weiter oben auf der Straße stand ein Typ in einem Arsenal-Trikot. Es war aber nicht Bisken, der picklige Sørländer, der da sonst immer stand, sondern ein Neuer. Trotzdem war die Prozedur dieselbe: Er wartete, bis er ein paar Leute zusammenhatte. Bis jetzt waren es drei. Weiß Gott, wovor die eine solche Angst hatten. Die Polizei hatte das Viertel längst aufgegeben, und sollte auf der Straße doch einmal ein Dealer eingesammelt werden, dann nur zur Schau, weil irgendein Politiker mal wieder das Maul aufgerissen hatte.
    Ein Typ mit einem auffällig feierlichen Anzug ging an den vieren vorbei und warf dem Arsenal-Trikot einen kurzen, kaum merkbaren Blick zu. Dann kam er zu mir. Mantel von Ferner Jacobsen, Anzug von Ermenegildo Zegna und Seitenscheitel wie bei einem Chorknaben. Der Kerl war wirklich schräg.
    »Somebody wants to meet you.« Er sprach Englisch mit dem typisch knurrenden, russischen Akzent.
    Ich rechnete wieder mal mit dem Üblichen. Vermutlich hielt er mich wegen meines Gesichts für einen Stricher und wollte einen geblasen kriegen, wenn er nicht sogar Lust auf meinen Knackarsch hatte. Ich gebe ja zu, dass ich mir an Tagen wie diesem durchaus mal überlegte, die Branche zu wechseln; zugunsten von geheizten Autositzen und dem vierfachen Stundenlohn.
    Trotzdem lehnte ich ab und sagte: »No thanks.«
    »Right answer is ›yes thanks‹« , sagte der Typ, packte meinen Arm und trug mich beinahe zu der schwarzen Limousine, die im selben Augenblick lautlos vor uns am Straßenrand hielt. Die Tür im Fonds ging auf, und da jeder Widerstand zwecklos war, begann ich mir stattdessen über den richtigen Preis Gedanken zu machen. Bezahlte Vergewaltigung ist immer noch besser als unbezahlte.
    Ich wurde auf den Rücksitz gedrückt, und die Tür hinter mir schloss sich mit einem weichen, sauteuren Klicken. Von draußen hatten die Scheiben des Wagens schwarz und undurchsichtig gewirkt, doch jetzt konnte ich erkennen, dass wir in Richtung Westen fuhren. Hinter dem Steuer saß ein kleiner Mann, dessen Kopf viel zu klein für all die grobschlächtigen Sachen war, die daran Platz finden sollten: ein brutaler Nasenrücken, ein weißer, lippenloser Haischlund, hervorquellende Augen und dicke, wie mit schlechtem Leim angeklebte Augenbrauen. Auch er trug einen teuren Beerdigungsanzug und einen braven Seitenscheitel. Über den Spiegel fiel sein Blick auf mich: »Sales good, eh?«
    »What sales, fuckhead?«
    Der Kleine lächelte freundlich und nickte mir zu. Ich hatte mich längst entschlossen, ihnen keinen Mengenrabatt zu gewähren, sollten sie den haben wollen, aber irgendwie zweifelte ich mehr und mehr daran, dass ihr Interesse wirklich mir galt. Es ging ihnen um irgendetwas anderes, nur um was? Wir passierten das Rathaus, dann die amerikanische Botschaft, den Schlosspark und fuhren immer weiter nach Westen. Kirkeveien. NRK, Villen und vornehme Adressen.
    Schließlich hielten wir vor einer großen Holzvilla oben auf einem Hügel. Die Bestattungsunternehmer führten mich durch ein Portal und über den gekiesten Vorplatz zu einer großen Eichentür. Ich sah mich um. Das Grundstück war groß wie ein Fußballfeld mit Apfel- und Birnbäumen, einem bunkerartigen Betonturm, der wie ein Wasserbehälter in irgendeiner Wüstenregion aussah, und einer Doppelgarage mit Stahlgittern wie bei der Polizei. Ein gut drei Meter hoher Maschendrahtzaun rahmte die ganze Herrlichkeit ein. Ich hatte bereits eine Vermutung, wo wir uns befanden. Die Limousine, das knurrende Englisch, »sales good?« , die wie eine Festung ausgebaute Villa …
    Drinnen in der Halle durchsuchte der Größere der beiden meine Kleider und ging dann gemeinsam mit dem anderen in eine Ecke des Raumes, in der ein kleiner Tisch mit einer roten Decke stand, über dem zahlreiche Ikonen und Kruzifixe an der Wand hingen. Sie zogen ihre Schießeisen aus den Schulterhalftern, legten sie auf die rote Decke und platzierten jeweils ein Kreuz auf den Waffen. Dann öffnete der Kleinere der beiden die Tür zu einem angrenzenden Zimmer.
    »Ataman« , sagte er und zeigte in den Raum.
    Der Alte, der in dem Raum saß, hatte mindestens so viele Jahre auf dem Buckel wie der Ledersessel, auf dem er saß. Ich starrte ihn an. Knochige Greisenfinger, zwischen denen eine schwarze Zigarette klemmte.
    Im Kamin, der den Raum mehr als dominierte, knisterte es

Weitere Kostenlose Bücher