Die Lautenspielerin - Roman
nicht zu sagen«, erwiderte Ulmann und wandte den Blick nach draußen, wo die Wiesen unter den Schneeresten zum Vorschein kamen.
»Von mir kannst du keinen Groschen für den Taugenichts erwarten«, knurrte Thomas.
Ulmann lachte trocken. »Lass nur, Vater. Du hast mich nie geliebt, wie solltest du nur einen Hauch Zuneigung für meinen Sohn empfinden.«
Der Wagen war so eng, dass die Knie der sich gegenübersitzenden Passagiere sich fast berührten. Jeanne rückte so dicht wie möglich an ihren Vater und betete, dass diese Fahrt endlich ein Ende nehme. Jede einzelne Person im Wagen schien plötzlich doppelt so viel Raum einzunehmen wie auf der Hinfahrt, und Jeanne fragte sich, ob es möglich war, dass die Aura aus Hass und Zorn, die Afra umgab, sie gegen die Rückwand drücken konnte.
War das Leben im Hause Froehner vor Franz’ Festnahme bereits bedrückend und von täglichen kleinen Schikanen geprägt
gewesen, so war all das harmlos im Vergleich mit dem, was Jeanne nun erlebte.
Seit ihrer Rückkehr hütete Thomas Froehner das Bett. Weder die Kräuter des Apothekers noch die zweifelhaften Aufgüsse von Afra und Agathe vermochten den schmerzhaften Husten zu lindern.
Vier Tage nach dem verhängnisvollen Vorfall kehrte Ulmann von seinem Bittgesuch in Frauenstein zurück. Das Abendessen war eben angerichtet, als er vom Regen durchnässt zur Tür hereinkam. Seine finstere Miene verhieß nichts Gutes.
Entgegen den Empfehlungen seiner Frau hatte Thomas sein Bett verlassen und seinen Vorsitz an der Tafel eingenommen. Das weiße Haar hing ihm strähnig um das eingefallene Gesicht, und Jeanne entdeckte Blutflecken vom ständigen Husten auf seinem Hemd. Erwartungsvoll hob der Hausvater den Kopf.
Ulmann warf den nassen Umhang in die Ecke und stürzte einen Becher Bier hinunter. »Verrotten soll das Pack vom Amt!«
»Setz dich doch. Es gibt Speckknödel.« Afra füllte ihrem Mann eine Portion vor Butter triefender Knödel auf den Teller. Dazu gab es geschmortes Kraut und gekochte Winteräpfel.
Der Duft des deftigen Essens schien Ulmann etwas zu besänftigen. Nachdem er einen Bissen probiert hatte, sagte er: »Der Schönberg ist fort, nach Dresden, was weiß ich, wo die hohen Herren sich rumtreiben. Sein Stellvertreter ist ein sturer Mensch, ein Lateinlehrer mit Kenntnissen der Jurisprudenz, wie er mir gleich unter die Nase gerieben hat.«
»Hast du Franz gesehen? Wie geht es ihm? Behandeln sie ihn gut im Gefängnis?«, fragte Afra.
»Ja, ja, dem Bengel geht es gut. Er hat zu essen und einen Strohsack. Gefoltert haben sie ihn nicht. Warum auch? Der Hornochse hat sich selbst belastet und zugegeben, dass er Streit mit diesem Kaspar hatte. Aber das ist nicht das Schlimmste. Ich hatte gehofft, den Richter mit etwas Bestechungsgeld zu einem milden Urteil
bewegen zu können. Doch das ist ausgeschlossen! Der Vater des Toten ist erster Jagdpächter vom Schönberg und gut gelitten bei den hohen Herren, wie mir die Leute im Wirtshaus erzählten.« Ulmann rieb sich mit den Händen das Gesicht, und Jeanne hätte nicht zu sagen vermocht, ob er sich den Regen abwischte oder Tränen.
Afra hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. »Und was wird jetzt mit unserem Franz?«
»Hängen wollen sie ihn. Darauf jedenfalls besteht Kaspars Vater.« Vehement stieß Ulmann seine zweizinkige Gabel in einen Knödel.
»Kann man denn nicht eine Eingabe beim zuständigen Rat machen?«, schaltete Endres sich vorsichtig ein.
»Und wozu das, Schlaukopf?«, blaffte Ulmann mit vollem Mund.
»Zumindest könnte man um eine erneute Prüfung und eine Aufschiebung des Urteils bitten. Bis dahin könntest du neue Zeugen auftreiben, die aussagen, dass es ein Unfall war«, sagte Endres ruhig.
»Das halte ich für eine ausgezeichnete Idee, Ulmann«, stimmte ihm Thomas zu.
»Natürlich, war ja nicht anders zu erwarten.« Ulmann hielt Ute den Becher hin, den die zierliche junge Küchenmagd mit Bier füllte. »Und wirst du mir Geld geben, um die Zeugen zu schmieren?«
Thomas sah seinen Sohn mit einer Mischung aus Mitgefühl und Verachtung an, die auf dem Tisch liegende Hand zitterte.
»Natürlich nicht. Warum frage ich auch! Wäre die Hure von deinem Ziehsohn hier in Not, würdest du dein letztes Hemd verkaufen, um ihr zu helfen!«, schrie Ulmann und schlug auf den Tisch.
Jeanne starrte mit gesenktem Blick auf ihren Teller und biss sich auf die bebende Unterlippe. Ihr Vater streichelte ihr tröstend
die Wange und flüsterte: »Geh nach oben, Jeanne. Wir
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