Die Lava
verlegen. Er zog eine Plastikfigur hervor, ein Männchen mit rotem Haar, mit einem Schottenrock bekleidet. Er reichte es Franziska. »Drücken Sie mal auf den Rücken.«
Franziska erfühlte einen kleinen runden Knopf unter dem Puppenhemd und drückte darauf. Es erklang die quäkende Melodie eines Dudelsacks. Sie musste lachen. »Wollen wir nicht zum Du übergehen?«, fragte sie plötzlich und schämte sich im nächsten Augenblick für ihre Direktheit.
Hutter war nicht brüskiert. »Gern – ich bin Joe.«
»Franziska.«
Er lachte. Er hatte sie für sich längst so genannt. Das Eis war gebrochen, die Beziehung auf eine private Ebene gestellt worden. Doch was jetzt? Wie machte man jemandem klar, dass man ihn öfter sehen will, länger, vor allem: nicht beruflich? Er konnte es ihr einfach sagen und sie dadurch völlig vor den Kopf stoßen. Oder vielleicht wartete auch sie nur darauf, dass er es endlich sagte. War es nicht besser, nicht zu handeln und stattdessen Franziska die Initiative ergreifen zu lassen? Oder war das Feigheit? Ein Glas Glenmoriston würde ihm beim Denken jetzt helfen!
Reginald MacGinnis riss ihn aus seinen Überlegungen. Joes Mobiltelefon vibrierte in seiner Tasche. Auf diesem Telefon rief nur sein Chef an.
Joe griff nach dem Handy, entschuldigte sich und drehte Franziska den Rücken zu.
MacGinnis verlangte, dass Hutter sich unmittelbar in den Besprechungsraum begab und sich Side-Scan-Aufnahmen eines Zieles ansah. Neal hielt es für lohnend, und wenn Hutter dem zustimmte, ging es hinein in den See. Notfalls in einer nächtlichen Tauchaktion. Es blieb keine Zeit, jeden Fund erst einmal ausführlich zu dokumentieren oder zu diskutieren. Jedes überflüssige Wort kostete ja unnötige Zeit – wenn Neals Auswertungen auf etwas stießen, musste unverzüglich gehandelt werden. Da unten lag eine Zeitbombe, und der See machte sie mit jeder Sekunde gefährlicher.
Franziska fühlte sich zurückgesetzt. Erst diese Freundlichkeit, ja Verlegenheit, und nun drehte sich Joe von ihr weg, zeigte so auf drastische Art, dass sie nicht zählte. Er flüsterte ins Telefon, ganz offensichtlich sehr darum bemüht, dass sie bloß nichts mitbekam. Dann legte er auf. »Sorry …«
»Ist es was Schlimmes?«
»Ich muss leider weg! Sofort!«
Mit diesen Worten sprang er auf und verschwand.
Franziska blickte ihm wütend nach.
Joe war in das Hauptquartier geeilt, hatte aber feststellen müssen, dass das Ziel doch nicht erfasst worden war. Neal teilte ihm das in knappen, enttäuschten Worten mit. Eine Neuanalyse hatte das angebliche Flugzeug verschwinden lassen, es war wohl nur ein Fels gewesen. Hutter musste nicht tauchen.
Er fand keinen Schlaf. Der Abend hatte ihn aufgewühlt. Er sollte sich mit Franziska Jansen treffen, um das Gefahrenpotenzial auszuloten, das die gegenwärtigen geologischen Vorgänge auf das Projekt als Ganzes haben könnten. Es ging nach wie vor um die Rettung vieler Menschen, aberes war auch ein Fenster aufgegangen in eine Zukunft, an die er zuvor nie gedacht hatte. Das machte ihn nervös. Er war hier, um einen Job zu erledigen. Doch die Dinge änderten sich, Prioritäten verschoben sich.
Er klappte den Laptop auf, schaltete ihn ein und betrachtete einen Film über ein Schaf. Die Bilder flackerten. Der Film war noch mit einer Kamera aufgenommen worden, die man wie eine Uhr aufzog.
Das Schaf fraß Gras. Es war mit einem Seil an einen Pfosten gebunden. Dann zuckte es plötzlich, stürzte zu Boden, strampelte mit den Beinen und verdrehte die Augen. Der Ton fehlte, aber Joe stellte sich ein jämmerliches Blöken vor, dann ein schreckliches, angsterfülltes Schreien.
Das Schaf krümmte sich, wenige Augenblicke löste es sich buchstäblich in Luft auf.
Hutter überlegte, welche Panik hier um sich greifen würde, wenn die Menschen erfuhren, warum er und das Team an diesen See gekommen waren. Und wenn sie erfuhren, dass das Wrack noch immer nicht aufgespürt worden war.
Unvermittelt dachte er an Franziska. Das tolle schwarze Kleid, das sie getragen hatte, war viel zu kurz gewesen. Sie hatte den ganzen Abend lang immer wieder am Saum gezupft, um ihn wenigstens in die Nähe ihrer Knie zu ziehen, doch das gelang ihr nicht. Als eine Mischung aus Sirene und naivem Kind rutschte sie auf dem Stuhl. Diese Zupferei hatte Joe nur dazu gebracht, sich auf ihre schlanken, wohlgeformten Beine zu konzentrieren. Fältchen bildeten sich um ihre Augen, wenn sie lachte, und sie lachte oft. Er mochte die Art, wie sie
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