Die Lava
der Quelltopf verwandelte sich in einen gewaltig aufwallenden Kessel, dessen Wasserarme bald schnell über den Boden in alle Richtungen rasten. Erneute Schreie, und die Menschen kletterten auf Felsen und leichte Erhöhungen.
Ein Aufschrei der Erleichterung erklang schließlich, als sich vom Rheinufer her das Fährschiff näherte, das sie in Sicherheit bringen konnte. Immer neue eisenrote und glühendheiße Wassermassen schwappten aus dem Krater. Dann hob sich erneut eine gewaltige Wassersäule aus dem Erdloch und schoss mehrere Stockwerke hoch in die Luft, brach in sich zusammen und fiel in riesigen Tropfen auf den Boden zurück. Es prasselte und toste, es bebte und dampfte.
Als alle sich auf dem Schiff zusammendrängten und es gerade vom Bootssteg ablegte, erfolgte eine neue Eruption.
Die Eifel hatte eine Touristenattraktion weniger, die Wissenschaft ein Rätsel mehr.
Es gab kaum einen Fernsehsender, der an diesem Abend keine Reportage aus der Eifel ausstrahlte. Reporter umlagerten die Krankenhäuser, die Umweltämter, die vulkanologischen Stationen.
Ausdrucke der Artikel verschiedener lokaler und überregionaler Tageszeitungen, Internetmeldungen, Blogs, YouTube-Videos und einige gebundene Forschungsberichte stapelten sich auf Franziskas Schreibtisch. Mit einem Textmarker in der Hand und einem Laptop versuchte sie, in das Chaos sich widerstreitender Augenzeugenberichte Ordnung zu bringen, Tatsachen und Meinungen zu trennen und das Ergebnis mit Forschungsarbeiten von anderen Zonen mit Supervulkanen, etwa dem Yellowstone-Nationalpark in den USA, zu vergleichen. Deutete das, was am Brubbel und praktisch gleichzeitig am Namedyer Sprudel in Andernach geschehen war, auf einen Ausbruch der Eifelvulkane hin? Oder konnte es auch andere Ursachen geben? Franziska hoffte es. Doch zurzeit ließ sich die gerade entstandene Aktivität nicht anders als mit einer steigenden Magmakammer erklären.
Franziska fasste zusammen, was den verschiedenen Augenzeugenberichten zufolge geschehen war: Da sprachen manche von einem Brüllen; einem Röhren, andere wiederum gaben an, alles habe sich ganz lautlos ereignet. Die Höhe der ersten, eigentlich planmäßigen Eruption schätzten die Zeugen unterschiedlich, einige glaubten gar, das Wasser sei »über 200 Meter hoch« geschossen. Sie erinnerte sich an ihre eigenen Erfahrungen am Brubbel: Was sich in Andernach ereignet hatte, musste vergleichbar gewesen sein, aberum das Zehnfache gesteigert. Das musste sie mit einrechnen, wenn sie beispielsweise las, die Erde habe gebebt wie bei einem starken Erdbeben, »wie in den Fernsehbildern von Japan«, die Bäume hätten sich geschüttelt, oder die ganze Rheininsel sei spürbar um einen halben Meter gesunken. Die Erde sei aufgeplatzt, hatten einige Beobachter den neugierigen Reportern erzählt, mit einem gewaltigen Brüllen, sogar Lava sei geflossen und habe einzelne Menschen erfasst, die schreiend in dem glühenden Gesteinsbrei versunken seien. Davon stimmte ganz gewiss nichts: Ein Geysir spuckt kein glutflüssiges Gestein, und sämtliche Besucher des Ausbruchs waren sicher auf das Schiff gelangt und gerettet worden. Es gab wohl einige Verletzte, aber keine Schwerverletzten.
Uwe Lauf steckte seinen Kopf in den Türrahmen und betrachtete Franziska interessiert. »Was tun Sie da, Frau Jansen?«
»Ich schaue mir die Presse- und Internetmeldungen über die Geysirausbrüche an. Jede Menge Konfusion bei den Berichten, aber ich denke, dass ich eine logische Sequenz der Ereignisse von Andernach herausarbeiten kann.«
Lauf fasste nervös an seine Brille und ruckte sie zurecht. »Bitte«, meinte er verlegen, »geben Sie keine weiteren Panikmeldungen an die Presse. Wir müssen erst prüfen, was die Ursachen für all das sind.«
»Keine Angst, Herr Lauf«, gab Franziska zurück. Sie konnte schon selbstsicher sein, denn sie wusste nur zu genau, dass ihre ersten Andeutungen eines erneuten Ausbruchs sich langsam zu bestätigen begannen. Was sollten die plötzlich heiß hervorsprudelnden Geysire denn anderes sein als Vorboten eines neuen, großen Ausbruchs? Das begriff auch Lauf, und daher war er so verhalten. »Ich werde erst so umfassend wie möglich recherchieren, und ich erzähle auch keine Horrorromane mehr vor laufenden Kameras. Es ist viel zu ernst.Wir brauchen dringend Hitzesensoren auf dem Grund des Laacher Sees. Und wir brauchen Geld.«
»Geld, ja«, erwiderte Lauf nachdenklich, »Geld aufzutreiben ist immer dann schwer, wenn man es wirklich
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