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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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machten, war von diesem Gemisch von Blumen und Fleisch heftig erregt; den Handschuh auf den Lippen sog er die Wollust seiner Erinnerungen ein.
    Von dem Tage an begann er über die klaffende Leere fort, die der Tod seiner Mutter in ihm geschaffen, Luise zu begehren. Zweifelsohne hatte er sie nie vergessen; aber sie schlummerte während seiner Schmerzen, und es bedurfte dieses Gegenstandes von ihr, um sie wieder zum Leben zu erwecken, ja ihn die Wärme des Atem fühlen zu lassen. War er allein, so holte er diesen Handschuh wieder hervor, atmete den Duft ein, küßte ihn, glaubte noch, sie in seinen Armen zu halten, den Mund heiß auf ihren Nacken zu pressen. Das nervöse Unbehagen, in dem er lebte, die durch seine lange Trägheit herbeigeführte Erregung machten diesen fleischlichen Rausch noch lebhafter. Es waren wahre Ausschweifungen, in denen er erschlaffte. Er ging unzufrieden über sich selbst aus ihnen hervor, verfiel ihnen trotzdem wieder, von einer Leidenschaft hingerissen, über die er nicht Meister war. Das erhöhte seine düstere Stimmung, es kam so weit, daß er seiner Base schroff gegenübertrat, als wenn er ihr seiner eigenen Torheiten halber grolle. Sie ließ seine Sinne kalt, und er floh manchmal aus einer gemeinsamen heiteren und ruhigen Plauderei, um seinem Laster nachzugehen, sich einzuschließen und sich in der brennenden Erinnerung an die andere zu verzehren. Dann ging er mit dem Widerwillen gegen das Leben wieder hinunter.
    In einem Monat verwandelte er sich so sehr, daß die verzweifelte Pauline entsetzliche Nächte verlebte. Am Tage über blieb sie tapfer immer auf den Füßen in diesem Hause, das sie mit ihrer Miene sanfter Autorität leitete. Des Abends aber, wenn sie das Zimmer geschlossen hatte, war es auch ihr erlaubt, ihren Kummer zu haben; dann schwand all ihr Mut, und sie weinte wie ein schwaches Kind. Ihr blieb keine Hoffnung mehr, der Schiffbruch ihrer Güte wurde täglich fühlbarer. War es denn wirklich möglich? Die Barmherzigkeit genügte also nicht, man konnte die Menschen lieben und sie dennoch unglücklich machen? Denn sie sah ihren Vetter unglücklich, und er war es vielleicht durch ihre Schuld. Auf dem Grunde ihres Zweifels wuchs auch die Furcht vor einem nebenbuhlerischen Einflusse. Eine geraume Zeit war sie beruhigt gewesen, denn sie hatte sich die düstere Stimmung mit der Trauer des Hauses erklärt; jetzt aber kam ihr wieder der Gedanke an Luise, dieser Gedanke, der in ihr nach dem Todestage der Frau Chanteau wach geworden, den sie mit dem stolzen Vertrauen auf ihre Zärtlichkeit verscheucht hatte, und der jetzt jeden Abend in der Niederlage ihres Herzens von neuem erwachte.
    Das war es, was Pauline heimsuchte. Sobald sie die Kerze hingestellt hatte, sank sie auf den Rand ihres Bettes nieder, ohne den Mut zum Entkleiden zu finden. Ihre seit dem Morgen währende Heiterkeit, ihre Ordnung und Geduld erdrückten sie wie ein zu schweres Gewand. Der Tag war – wie die verstrichenen und wie die kommenden Tage – unter dieser Langeweile Lazares verlaufen, die das ganze Haus zur Verzweiflung brachte. Was half es, daß sie sich zur Freude zwang, da sie diesen Winkel doch nicht mit Sonne erwärmen konnte? Das alte, grausame Wort tönte wieder: man lebte zu einsam, die Schuld lag in ihrer Eifersucht, die alle vertrieben hatte. Sie nannte Luise nicht, sie wollte nicht einmal an sie denken, und trotzdem sah sie dieselbe mit ihrem hübschen Gesichte vorüberziehen, Lazare mit ihrem gefallsüchtigen Schmachten unterhalten und mit dem Rauschen ihrer Röcke erheitern. Minuten vergingen, sie konnte ihr Bild nicht verscheuchen. Zweifelsohne erwartete er dieses Mädchen; holte man sie, so wäre nichts leichter als seine Heilung. Jeden Abend, wenn Pauline in ihr Zimmer ging und sich kraftlos auf den Rand ihres Bettes niederließ, tauchte das nämliche Bild vor ihr auf, und sie wurde von dem Glauben gemartert, daß das Glück der Ihren vielleicht in den Händen der andern liege.
    Dennoch dauerten die Empörungen in ihr fort. Sie verließ, dem Ersticken nahe, ihr Bett und öffnete eilends das Fenster. Stundenlang blieb sie vor dieser schwarzen Unermeßlichkeit des Meeres, dessen Klagen sie hörte, mit aufgestützten Ellbogen, ohne schlafen zu können, die brennende Brust dem Meereswinde darbietend. So jämmerlich werde es nie mit ihr bestellt sein, daß sie die Rückkehr dieses Mädchens dulde. Hatte sie beide nicht bei einer Umarmung überrascht? War das nicht der niedrigste Verrat, so nahe

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