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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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bei ihr, im Nebenzimmer, in diesem Hause, das sie als das ihrige betrachtete? Diese Schlechtigkeit konnte nicht vergeben werden, es hieße sich zur Mitschuldigen machen, wenn man sie wieder zurückführte. Ihr eifersüchtiger Groll fieberte noch mehr bei den Bildern, die sie heraufbeschwor; sie erstickte vor Schluchzen, das Antlitz auf die nackten Arme, die Lippen auf ihr Fleisch gepreßt. Die Nacht schritt vor, der Wind streifte ihren Hals, spielte mit ihrem Haar, ohne den Zorn zu beruhigen, der das Blut in ihren Adern zum Kochen brachte. Aber dumpf und unbezwinglich dauerte der Kampf zwischen ihrer Güte und ihrer Leidenschaft fort, selbst in den heftigsten Anfällen von Empörung. Eine ihr wie fremd vorkommende Stimme der Milde sprach hartnäckig ganz leise in ihr von den Freuden des Almosens, dem Glück, sich anderen zu widmen. Sie wollte sie zum Schweigen bringen: diese bis zur Feigheit getriebene Selbstverleugnung war ein Blödsinn; trotzdem horchte sie darauf, denn es wurde ihr bald unmöglich, sich ihrer zu erwehren. Nach und nach erkannte sie ihre eigene Stimme und überlegte; was wollte ihr Leiden besagen, wenn nur die von ihr geliebten Wesen glücklich waren? Sie schluchzte leiser, lauschte der steigenden Flut in der Tiefe der nächtlichen Finsternis, erschöpft und krank, ohne noch überwunden zu sein.
    In einer Nacht hatte sie sich, nachdem sie lange am Fenster geweint, zu Bett gelegt. Als sie ihr Licht ausgelöscht hatte und mit weit geöffneten Augen im Dunkel dalag, faßte sie plötzlich einen Entschluß: am nächsten Morgen wollte sie ihren Onkel vor allem an Luise schreiben lassen und sie bitten, einen Monat in Bonneville zu verbringen. Nichts schien ihr natürlicher, leichter. Sie verfiel sofort in einen guten Schlaf, seit Monaten hatte sie nicht so fest geschlummert. Als sie aber am nächsten Morgen zum Frühstück heruntergekommen war und sich wieder zwischen Onkel und Vetter an diesem Familientische sah, an dem ihre Plätze durch drei Milchnäpfe bezeichnet waren, drohte sie plötzlich zu ersticken, sie fühlte ihren Mut schwinden.
    »Du ißt nicht,« sagte Chanteau, »was hast du denn?«
    »Ich habe nichts«, antwortete sie. »Im Gegenteil, ich habe wie eine Selige geschlafen.«
    Lazares bloßer Anblick erneuerte ihren Kampf. Er aß schweigend, von diesem neuen, erst beginnenden Tage schon wie ermattet; und sie fühlte nicht mehr die Kraft ihn einer andern zu geben! Der Gedanke, daß eine andere ihn nehmen, ihn küssen werde, um ihn zu trösten, war ihr unerträglich. Als er gegangen war, wollte sie dennoch tun, was sie beschlossen hatte.
    »Geht es mit deinen Händen heute schlechter?« fragte sie ihren Onkel.
    Er schaute seine Hände an, die von den Steingebilden heimgesucht wurden, und ließ mühsam die Gelenke spielen.
    »Nein«, antwortete er. »Die Rechte scheint sogar geschmeidiger zu sein ... Wenn der Pfarrer kommt, werden wir eine Partie zusammen machen.«
    Nach einer Pause fügte er hinzu:
    »Warum fragst du mich danach?«
    Ohne Zweifel hatte sie gehofft, er werde nicht schreiben können. Sie errötete, verschob den Brief feige auf den folgenden Tag und stammelte:
    »Mein Gott, um es zu wissen.«
    Von dem Tage an verlor sie ihre ganze Ruhe. In ihrem Zimmer gelang ihr nach tränenreichen Stunden der Sieg; sie nahm sich fest vor, am nächsten Morgen ihrem Onkel den Brief zu diktieren. Sobald sie aber das tägliche Leben in der Wirtschaft zwischen ihren Geliebten wieder begann, verlor sie die Kraft. Unbedeutende Vorkommnisse selbst brachen ihr das Herz: so, wenn sie für ihren Vetter das Brot schnitt, wenn sie die Schuhe des jungen Mannes der Sorge der Magd empfahl; kurz – der gewohnte, althergebrachte Gang der Familie. Man hätte so glücklich sein können mit diesen alten Gewohnheiten des häuslichen Herdes! Wozu eine Fremde rufen? Warum so angenehme Dinge ändern, unter denen sie bereits soviele Jahre lebten? Bei dem Gedanken, daß eines Tages nicht mehr sie so das Brot schneiden und über die Kleidung wachen werde, packte sie eine Verzweiflung, sie fühlte das zuversichtlich erwartete Glück ihres Daseins zusammenbrechen. Diese Qual, die sich in die geringsten häuslichen Sorgen mischte, vergiftete ihre Tage wirtschaftlicher Tätigkeit.
    »Warum das nur?« fragte sie manchmal laut, »wir lieben uns und sind nicht glücklich ... Unsere Liebe verbreitet nur Unglück um uns her.«
    Sie suchte ohne Unterlaß nach der Erklärung. Vielleicht kam es davon, daß ihr Charakter und der ihres

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