Die Lebensfreude
Vetters nicht zusammenpaßten. Sie wollte sich beugen, auf jeglichen persönlichen Willen verzichten; es gelang ihr nicht, die Vernunft war stärker; sie war versucht den anderen Dinge aufzuerlegen, die sie für vernünftig hielt. Manchmal ging ihre Geduld zu Ende, und dann wurde geschmollt. Sie wollte lachen, ihr Elend in Heiterkeit ertränken; aber sie konnte es nicht mehr, sie verlor ihrerseits die Kraft.
»Das ist nett!« wiederholte Veronika vom Morgen bis zum Abend. »Sie sind nur drei und werden sich schließlich noch gegenseitig verschlingen ... Die Frau hatte ihre schlimmen Tage, aber solange sie da war, ging man noch nicht soweit, sich die Schüsseln an den Kopf zu werfen.«
Auch Chanteau empfand die Wirkungen dieser langsamen, durch nichts erklärbaren Entfremdung. Wenn er einen Anfall hatte, riß er das Maul noch weiter auf, wie die Magd sagte. Er hatte dann Launen und Heftigkeitsanfälle, ein Bedürfnis, die Umgebung fortwährend zu quälen. Das Haus wurde wieder zur Hölle.
Während der letzten Eifersuchtsanfälle fragte sich das junge Mädchen, ob sie das Recht habe, ihr Glück Lazare aufzudrängen. Sicher wollte sie ihn vor allem glücklich sehen, selbst um den Preis ihrer Tränen. Warum ihn also einschließen, ihn zu einer Einsamkeit zwingen, unter der er zu leiden schien? Er liebte sie doch zweifelsohne, er würde zu ihr zurückkehren, wenn er sie besser beurteilen und Vergleiche zwischen ihr und der andern anstellen würde. Auf jeden Fall mußte sie ihm erlauben zu wählen: das war gerecht, und das Gerechtigkeitsgefühl blieb in ihr obenauf herrschend.
Alle drei Monate begab sich Pauline nach Caen, um ihre Zinsen einzuziehen. Sie reiste morgens ab und kam am Abend wieder, nachdem sie eine ganze Liste kleiner Einkäufe und Gänge erledigt hatte, die sie während der drei Monate hindurch vormerkte. Im Juniviertel dieses Jahres wartete man bis neun Uhr vergebens auf sie mit dem Essen. Der stark beunruhigte Chanteau hatte einen Unfall befürchtet Und Lazare auf die Landstraße geschickt; während Veronika mit ruhigem Gesichte meinte, man tue unrecht sich aufzuregen; ganz gewiß habe sich das Fräulein verspätet und sich entschlossen, in Caen zu übernachten, um alle Besorgungen erledigen zu können. Man schlief sehr schlecht in Bonneville; am folgenden Tage begann beim Frühstück die Sorge von neuem. Als gegen Mittag sein Vater es auf seinem Platze nicht mehr auszuhalten vermochte, entschloß sich Lazares, nach Arromanches zu gehen, als die Magd, die auf der Straße Schildwache stand, plötzlich ausrief:
»Da kommt das Fräulein!«
Man mußte Chanteaus Lehnstuhl auf die Terrasse rollen. Vater und Sohn erwarteten sie, während Veronika das nähere beschrieb:
»Es ist die Berline von Malivoire ... Ich habe das Fräulein an den Kreppbändern erkannt. Es kommt mir nur merkwürdig vor, ja, man möchte behaupten, daß jemand mit ihr kommt.«
Endlich hielt der Wagen vor der Tür. Lazare war näher getreten und öffnete schon den Mund, um Pauline, die leichtfüßig herausgesprungen war, auszufragen, als er plötzlich wie gebannt dastand: hinter ihr sprang ein anderes junges Mädchen in tausendstreifiger lila Seide heraus. Beide lachten wie gute Freundinnen. Sein Erstaunen war so groß, daß er auf seinen Vater zuging und sagte:
»Sie bringt Luise mit.«
»Luise! ... Das ist ein guter Gedanke«, rief Chanteau.
Als sie nebeneinander vor ihm standen, die eine noch in tiefer Trauer, die andere in einem heiteren Sommerkleide, fuhr er, entzückt von dieser Zerstreuung, fort:
»Was? Ihr habt Frieden geschlossen? Wißt Ihr, ich habe die Sache auch nie begriffen. War das auch dumm! Wie unrecht hattest du, Luisette, uns das in all dem Kummer, den wir hatten, so lange nachzutragen ... Nicht wahr, es ist nun endlich vorbei?«
In ihrer Verlegenheit standen die jungen Mädchen unbeweglich da. Sie waren errötet, und ihre Blicke mieden sich. Luise umarmte Chanteau, um ihre Unruhe zu verbergen. Er aber verlangte Erklärungen.
»Ihr seid Euch also begegnet?«
Da schaute sich Luise mit vor Rührung feuchten Augen nach ihrer Freundin um.
»Pauline war gerade zu meinem Vater gekommen, als ich hereintrat. Sie müssen nicht mit ihr schelten, daß sie geblieben ist, denn ich habe alles mögliche getan, um sie zurückzuhalten ... Da der Telegraph nur bis Arromanches geht, haben wir uns überlegt, daß wir ebenso schnell wie eine Depesche hier sein würden ... Verzeihen Sie mir?«
Sie umarmte Chanteau nochmals mit
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