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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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aufrührerisches Fleisch zu töten, sie wollte es auf der Matratze zerdrücken. Lange, vom Nacken bis zu den Fersen sie durchlaufende Erschütterungen ließen sie erbeben. Vergebens schlossen sich ihre Lider, um nicht mehr zu sehen, sie sah trotzdem, Ungeheuerlichkeiten hoben sich aus dem Dunkel ab. Was tun? Sich die Augen ausbohren und dennoch sehen, vielleicht immer sehen!
    Minuten verstrichen, sie hatte kein Bewußtsein mehr von der Ewigkeit ihrer Qual. Voller Schreck richtete sie sich auf. Es war jemand da, denn sie hatte lachen hören. Aber sie fand nur ihre beinahe niedergebrannte Kerze, welche die Leuchterdille zum Platzen gebracht hatte. Wenn sie dennoch jemand gesehen hätte! Dieses eingebildete Lachen lief noch wie eine rohe Liebkosung über ihre Haut. War sie es wirklich, die so nackt blieb? Eine Scham erfaßte sie, sie hatte die Arme mit einer erschrockenen Gebärde über die Brust gekreuzt, um sich selbst nicht mehr zu sehen. Endlich streifte sie sich hastig das Nachthemd über und flüchtete unter die Bettdecke, die sie bis an das Kinn hinaufzog. Ihr zitternder Körper machte sich ganz klein. Als das Licht erloschen war, rührte sie sich nicht mehr, von der Scham über diesen Anfall wie vernichtet.
    Pauline packte am nächsten Morgen ihren Koffer, ohne den Mut zu haben, Chanteau ihre Abreise anzukündigen. Am Abend indessen mußte sie ihm alles sagen, denn Doktor Cazenove sollte sie am nächsten Tage abholen und in Person zu seiner Verwandten bringen. Als Chanteau, wie vor den Kopf gestoßen, begriffen hatte, hob er mit der Gebärde eines Tollen seine kranken Hände empor, als wolle er Pauline zurückhalten, und stammelte und flehte. Sie werde es nie tun, ihn niemals verlassen, denn das sei sein Tod; er werde sicherlich davon sterben. Als er sie sanft darauf bestehen sah und ihre Gründe erriet, entschloß er sich, seinen Fehltritt zu beichten, daß er am Tage vorher ein Rebhuhn gegessen habe. Leichte Stiche brannten schon in seinen Gelenken. Es war immer die nämliche Geschichte, er unterlag im Kampfe: sollte er essen, sollte er leiden? Er aß mit der Gewißheit, leiden zu müssen, befriedigt und entsetzt zugleich. Aber sie würde gewiß nicht den Mut haben, ihn mitten im Anfalle zu verlassen.
    In der Tat kam gegen sechs Uhr morgens Veronika herauf, um das Fräulein zu benachrichtigen, daß sie den Herrn in seinem Zimmer heulen höre. Sie war von unausstehlicher Laune und schalt im ganzen Hause umher, daß, wenn das Fräulein gehe, sie sich auch aus dem Staube machen werde, denn sie habe es satt, einen so wenig vernünftigen Alten zu pflegen. Pauline mußte sich noch einmal am Krankenbette des Oheims häuslich niederlassen. Als der Arzt sich einstellte, um sie fortzuführen, zeigte sie ihm den Kranken, der noch lauter als zuvor heulte und ihr zuschrie, sie möge nur gehen, wenn sie das Herz habe. Alles wurde aufgeschoben.
    Das junge Mädchen zitterte jeden Tag vor der Heimkehr von Lazare und Luise; es erwartete sie ihr neues Zimmer, das einstige Fremdenzimmer, zum jetzigen Zwecke nach ihren Angaben schon seit dem Tage nach der Hochzeit eingerichtet. Sie vergaßen sich in Caen, Lazare schrieb, daß er Notizen über die Finanzwelt sammele, ehe er sich in Bonneville einschließe, um einen großen Roman zu beginnen, in dem er die Wahrheit über die großen Spekulanten sagen wolle. Dann landete er eines Morgens ohne Frau und erklärte gelassen, daß er sich mit ihr in Paris niederlassen werde: sein Schwiegervater habe ihn überzeugt, er nehme die Stelle bei der Versicherungsgesellschaft unter dem Vorwande an, daß er dort Notizen aus dem Leben sammeln könne, später wolle er zurückkehren und zur Literatur übergehen.
    Als Lazare zwei Kisten mit den mitzunehmenden Gegenständen vollgepackt hatte, die alte Berline von Malivoire gekommen war, um ihn und sein Gepäck abzuholen, ging Pauline wie betäubt in das Haus, sie fand nicht mehr ihre mutige Willenskraft wieder. Chanteau, der noch sehr leidend war, fragte:
    »Ich hoffe, du bleibst? Warte wenigstens, bis du mich begraben hast!«
    Sie wollte nicht sogleich antworten. Oben stand ihr Koffer immer noch gepackt da. Sie schaute ihn stundenlang an. Nun die anderen nach Paris gingen, war es eine Schlechtigkeit, den Oheim zu verlassen. Gewiß, sie mißtraute den Entschließungen ihres Vetters; aber wenn das Ehepaar heimkam, würde sie noch immer frei weggehen können. Cazenove hatte ihr wütend gesagt, sie gebe eine prächtige Stellung auf, um ihr Dasein bei

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