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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Leuten zu vertrödeln, die seit ihrer Jugend von ihr lebten. Ihr Entschluß stand aber fest.
    »Geh nur«, wiederholte ihr Chanteau jetzt. »Wenn du Taler verdienen willst und glücklich sein kannst, will ich dich nicht verpflichten, bei einem alten Krüppel, wie ich es bin, in Schlurren zu gehen. Geh nur.«
    Eines Morgens antwortete sie:
    »Nein, Onkel, ich bleibe.«
    Der Doktor, welcher gerade zugegen war, entfernte sich, die Hände zum Himmel erhebend.
    »Die Kleine ist unmöglich! Welch ein Wespennest dieses Haus! Sie kommt niemals heraus.«

Neuntes Kapitel.
    Und die Tage flossen von neuem in dem Hause zu Bonneville dahin. Einem sehr kalten Winter war ein regnerischer Frühling gefolgt; das von den Platzregen gepeitschte Meer glich einem schmutzigen See; dann hatte sich der Sommer bis in die Mitte des Herbstes mit einer schwerfälligen Sonne hinein verzögert, welche die blaue Unendlichkeit unter ihrer erdrückenden Hitze einschläferte. Darauf war es wieder Winter geworden, ein Frühling und noch ein Sommer vergingen Minute für Minute im nämlichen Schritte im abgemessenen Verlaufe der Stunden.
    Pauline fand ihre tiefe Ruhe wieder, als habe sich ihr Herz nach dieser uhrförmigen Bewegung geregelt. Eingewiegt durch die Regelmäßigkeit der Tage, in immer wiederkehrenden Beschäftigungen sich bewegend, gelangte sie dahin, daß ihre Leiden in einer tiefen Betäubung schlummerten. Sie kam des Morgens herunter, küßte ihren Onkel, hatte mit der Magd die nämliche Unterhaltung wie am Tage vorher; sie setzte sich zweimal zu Tische, plauderte am Nachmittag und legte sich des Abends frühzeitig schlafen, und am folgenden Morgen begann der Tag von vorne, ohne daß ein unerwartetes Ereignis diese Einförmigkeit unterbrach. Chanteau, immer mehr von der Gicht festgebunden, war mit seinen angeschwollenen Beinen und unförmigen Händen stumm, wenn er nicht heulte, in die Glückseligkeit seiner schmerzfreien Augenblicke versunken. Veronika, die ihre Sprache verloren zu haben schien, verfiel in eine finstere Maulhängerei. Nur die sonnabendlichen Mahlzeiten brachten eine Abwechslung in diese Stille. Cazenove und der Abbé Horteur stellten sich pünktlich zum Essen ein; man hörte bis gegen zehn Uhr Stimmen, dann klapperten die Holzschuhe des Priesters über das Pflaster des Hofes, während der Wagen des Arztes beim schwerfälligen Trabe des alten Pferdes davonrollte. Selbst Paulinens Heiterkeit war ruhiger geworden, diese tapfere Heiterkeit, die sie inmitten all dieser Qualen sich bewahrt hatte. Ihr volltönendes Lachen erfüllte nicht mehr die Treppe und die Zimmer; aber sie blieb die Geschäftigkeit und Güte des Hauses; sie brachte jeden Morgen einen neuen Mut zum Leben mit. Nach Verlauf eines Jahres schlief ihr Herz, sie konnte glauben, daß die Stunden nunmehr so einförmig und sanft dahinfließen würden, ohne daß etwas in ihr das schlummernde Leid wieder erwecken könne.
    In den ersten Zeiten nach Lazares Abreise hatte jeder seiner Briefe sie verwirrt. Sie lebte nur durch diese Briefe, erwartete sie mit Ungeduld, las sie wiederholt, ging über die geschriebenen Worte hinaus bis zu Dingen, die sie gar nicht besagten. Drei Monate lang kamen sie regelmäßig, sie trafen alle vierzehn Tage ein, waren sehr lang, voller Einzelheiten, von Hoffnung überfließend. Lazare flammte noch einmal auf, stürzte sich in die Geschäfte und träumte sogleich von einem unermeßlichen Vermögen. Wenn man ihn hörte, warf die Versicherungsgesellschaft einen ungeheuren Nutzen ab; er wollte sich nicht damit begnügen; schon häufte er Geschäfte auf Geschäfte und zeigte sich von der finanziellen und der Geschäftswelt entzückt, alles waren Leute von sehr angenehmem Umgang, die er als Dichter so töricht beurteilt zu haben sich beschuldigte. Sodann war er unerschöpflich über die Freuden seiner Ehe, erzählte verliebte Neckereien von seiner Frau, von geraubten Küssen, gespielten Schabernacken, kurz: er kramte sein Glück aus, um der zu danken, die er »meine teure Schwester« nannte. Diese Einzelheiten, diese vertraulichen Stellen waren es, die in Paulinens Fingern ein leichtes Fieber erregten. Sie wurde fast betäubt von dem Liebesduft, der dem Papier entströmte, einem Duft von Heliotrop, dem Lieblingsparfüm Luisens. Dieses Papier hatte bei ihrer Wäsche gelegen: sie schloß die Augen, sah die Zeilen flammen, die Sätze sich vervollständigen und sah sich selbst in die engste Vertraulichkeit mit deren Honigmond gebracht. Aber nach und

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