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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Fremdenzimmer geleiten wollte, wurde er böse.
    »Glaubst du etwa, ich werde da schlafen? ... Ich will oben in meinem kleinen eisernen Bette schlafen.«
    Die Magd brummte. Wozu diese Laune? Das Bett war fertig, er brauchte ihr doch nicht die Mühe zu machen, noch ein zweites herzurichten?
    »Es ist gut,« entgegnete er, »ich werde im Lehnstuhl schlafen.«
    Während Veronika wütend die Bettücher zusammenraffte und sie in den zweiten Stock hinauftrug, empfand Pauline eine unbewußte Freude, eine jähe Heiterkeit, daß sie sich ihrem Vetter an den Hals warf, um ihm in einer Anwandlung ihrer alten Kinderkameradschaft eine gute Nacht zu wünschen. Er wohnte also wieder in dem großen Zimmer so nahe bei ihr, daß sie ihn lange auf- und abgehen hörte wie im Fieber der Erinnerungen, die auch sie selbst wach hielten.
    Erst am folgenden Tage begann Lazare Pauline in das Vertrauen zu ziehen; er beichtete nicht mit einemmal, sie erfuhr die Sachen erst durch kurze, mitten in die Unterhaltung hineingeworfene Sätze. Voll besorgter Zuneigung fragte sie ihn bald ermutigt aus. Wie er mit Luise lebe? Ob ihr Glück noch immer vollkommen sei? Er antwortete bejahend, klagte jedoch über kleine häusliche Verdrießlichkeiten, die Zänkereien hervorgerufen hatten. Ohne daß ein Bruch zwischen dem jungen Paar stattgefunden, litt es durch tausende von Reibungen infolge ihrer beiderseitigen nervösen Temperamente, sie konnten weder in der Freude noch im Schmerze das Gleichgewicht bewahren. Es herrschte zwischen ihnen ein geheimer Groll, als seien sie überrascht und zornig über sich selbst, schon so schnell nach der großen Liebe der ersten Zeiten sich auf den Grund ihrer Herzen geschaut zu haben. Pauline glaubte im ersten Augenblick zu verstehen, daß Geldverluste sie entzweit hätten; aber sie täuschte sich, ihre zehntausend Franken Rente blieben beinahe unberührt, Lazare hatten nur die Geschäfte angeekelt, gerade wie ihn die Musik, die Medizin, die Industrie angewidert hatten; über diesen Gegenstand brach er in bittere Worte aus, nie habe er eine dümmere, verderbtere als die Geldwelt gesehen; er wollte eher der Langeweile in der Provinz, der Mittelmäßigkeit eines kleinen Wohlstandes den Vorrang geben, als dieser fortwährenden Sorge um das Geld, dieser Gehirnerweichung bei dem tollen Tanze der Ziffern. Er hatte überdies die Versicherungsgesellschaft verlassen und war entschlossen, vom kommenden Winter an, es mit dem Theater zu versuchen, sobald er nach Paris zurückgekehrt sei. Sein Stück solle ihn rächen, er werde darin zeigen, daß das Geld der Krebsschaden sei, der die moderne Gesellschaft vernichte.
    Pauline grämte sich nicht zu arg über diesen neuen Schiffbruch, den sie bereits hinter der Verlegenheit von Lazares letzten Briefen geahnt hatte. Vor allem beunruhigte sie diese allmähliche Zunahme des Mißverständnisses zwischen ihm und seiner Frau. Sie suchte nach der Ursache: wie kamen sie nur so schnell zu diesem Unbehagen, sie, die noch jung waren, nach ihrem Belieben leben konnten und keine andere Sorge als die um ihr Glück hatten? Zwanzigmal kam sie auf diesen Gegenstand zurück und erst vor der Verlegenheit, in die sie ihren Vetter jedesmal versetzte, hörte sie auf, ihn zu befragen: er stammelte, erbleichte und wandte die Blicke ab. Sie hatte diese Miene der Scham und Furcht wohl wiedererkannt: es war die Angst vor dem Tode, deren Frösteln er ehemals verheimlichte, wie man ein geheimes Laster verbirgt; aber war es möglich, daß die Kälte des »Niemals mehr« sich schon zwischen sie gelegt hatte in das noch von ihrer Hochzeit heiße Bett? Sie zweifelte mehrere Tage; ohne daß er mehr gebeichtet hätte, las sie die Wahrheit in seinen Augen, als er eines Abends ohne Licht verstört aus seinem Zimmer stürzte, als flüchte er vor Gespenstern.
    In Paris hatte er mitten in seinem Liebesfieber den Tod vergessen. Er rettete sich fassungslos in die Arme Luisens und war von der Mattigkeit nachher so mitgenommen, daß er in den Schlaf eines Kindes verfiel. Sie liebte ihn auch wie eine Geliebte mit ihrer nur für den Kultus des Mannes geschaffenen wollüstigen Anmut einer Katze und hielt sich sofort für unglücklich und verloren, wenn er sich einmal eine Stunde lang nicht um sie kümmerte. Die verzückte Befriedigung ihrer Begierden, das Vergessen alles übrigen, wenn eines am Halse des andern hing, hatten vorgehalten, solange sie noch glaubten, bis an den Boden dieser sinnlichen Freuden zu gelangen. Aber die

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