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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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empfand außerdem eine Erbitterung gegen alle und trug sich mit dem Gedanken, daß er verkannt sei, daß seine ununterbrochenen Fehlschläge durch eine weitgehende Verschwörung der Menschen und Dinge entständen. Seine Langweile aber beherrschte, ertränkte alles, die Langweile eines aus dem Gleichgewicht gebrachten Menschen, dem der stets gegenwärtige Gedanke an den nahen Tod Widerwillen gegen jede Tätigkeit einflößte und ihn unter dem Vorwande der Nichtigkeit des Lebens sich unnütz fortschleppen ließ. Warum sich aufregen? Die Wissenschaft war beschränkt, man konnte durch sie nichts verhindern, nichts bestimmen. Er empfand die skeptische Langeweile seiner ganzen Generation, nicht mehr die romantische Langeweile der Werther und der Renes, die den verlorenen Glauben beweinten, sondern die Langeweile der neuen Helden des Zweifels, der jungen Chemiker, die sich ärgern und die Welt für unmöglich erklären, weil sie nicht sofort das Leben auf dem Boden ihrer Retorten gefunden haben.
    Bei Lazare ging durch einen logischen Widerspruch das uneingestandene Entsetzen vor dem Niemals mehr mit einer unaufhörlich aufgetischten Prahlerei über das Nichts Hand in Hand. Sein Schauer selbst, das Unausgeglichene seiner hypochondrischen Natur war es, das ihn in pessimistische Gedanken, in einen wütenden Haß gegen das Dasein warf. Er sah es für eine Prellerei an von dem Augenblicke, wo es nicht ewig währen sollte. Verbrachte man nicht die erste Hälfte seiner Tage mit dem Traum vom Glück und die zweite mit Klagen und Zittern? Auch überbot er die Lehrsätze des »Alten« noch, wie er Schopenhauer nannte, von dem er lange Stellen auswendig hersagte. Er sprach davon, den Willen zu leben töten zu wollen, um diese grausame und blödsinnige Prunkschau des Lebens enden zu lassen, welche die Welt beherrschende Allmacht sich zu einem eigennützigen, unbekannten Zweck als Schauspiel gönnt. Er wollte das Leben unterdrücken, um die Furcht zu unterdrücken. Immer wieder kam er auf diese Befreiung hinaus: nichts wünschen in der Furcht vor Schlimmerem, die Bewegung vermeiden, die Schmerz ist, dann ganz dem Tod anheimfallen. Das praktische Mittel eines allgemeinen Selbstmordes beschäftigte ihn, eines völligen und plötzlichen Verschwindens, unter Zustimmung der Gesamtheit der Wesen. Darauf kam er zu jeder Stunde zurück inmitten der laufenden Unterhaltung mit vertraulichen und rohen Ausfällen. Bei der geringsten Beschwerlichkeit bedauerte er noch nicht hin zu sein. Ein einfacher Kopfschmerz ließ ihn wütend über sein Gerippe klagen. Seine Unterhaltung mit Freunden verfiel sofort auf das Ungemach des Daseins, auf das große Glück derer, welche die Gräser auf dem Kirchhofe fett machten. Finstere Gegenstände verfolgten ihn, er wurde von dem Artikel eines phantastischen Astronomen über das Erscheinen eines Kometen ergriffen, dessen Schweif die Erde wie Sandkorn wegfegen werde: mußte man darin nicht die erwartete Weltkatastrophe erblicken, die ungeheure Kartätsche, welche die Erde wie ein altes, verfaultes Schiff in die Luft sprengen sollte? Dieses Verlangen nach dem Tode, die gehätschelten Lehrsätze von der Vernichtung waren nichts anderes als der verzweifelte Kampf seiner Schrecken, der leere Wortlärm, unter dem er die schauerliche Erwartung seines Endes verbarg.
    Die Schwangerschaft seiner Frau verursachte ihm in diesem Augenblicke eine neue Erschütterung. Er empfand eine unerklärliche Erregung, eine große Freude und die Vermehrung seines Unbehagens zugleich. Im Gegensatze zu den Ideen des »Alten« erfüllte ihn der Gedanke, Vater zu werden, Leben erzeugt zu haben, mit Stolz. Wenn er auch zum Schein sagte, daß nur die Dummköpfe das Recht hierzu mißbrauchten, so fühlte er dennoch eine eitle Überraschung, als wenn ein solches Ereignis ganz allein für ihn aufgespart sei. Dann wurde ihm diese Freude verdorben; er quälte sich mit der Ahnung, daß die Niederkunft schlecht enden werde: für ihn war die Mutter bereits verloren; nicht einmal das Kind werde zur Welt kommen. Die Schwangerschaft brachte noch dazu von den ersten Monaten an schmerzliche Zufälle mit sich, das Haus stand auf dem Kopfe, die Gewohnheiten waren gestört, die Streitigkeiten häufiger, das alles machte ihn vollends elend. Dieses Kind, das die Gatten einander hätte näher bringen sollen, vermehrte die Mißverständnisse zwischen ihnen, die Reibungen des Lebens Seite an Seite. Er war besonders außer sich über die unbestimmbaren Leiden, über

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