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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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hielt, entsetzte ihn noch mehr. Wenn er den Kopf an ihre Brust legte und das Herz schlagen hörte, konnte er dieser Bewegung nicht ohne Unbehagen folgen, da er stets an plötzliches Bersten glaubte. Die Beine, in die er die seinen geschlungen hatte, die Hüfte, welche unter seinem Drucke so weich nachgab, diesen ganzen so geschmeidigen, so angebeteten Körper zu berühren, war ihm bald unerträglich, es erfüllte ihn in seiner Bangigkeit vor dem Nichts nach und nach mit einer angstvollen Erwartung. Selbst, wenn sie aufwachte, wenn ein Verlangen sie noch enger umschlang, sie sich Lippe an Lippe in einen Liebestaumel stürzten, mit dem Gedanken, in ihm ihr Elend zu vergessen, gingen sie ebenso zitternd daraus hervor, sie blieben auf dem Rücken ausgestreckt liegen, ohne den Schlaf wiederzufinden, von der Freude am Lieben angeekelt. In dem Schatten des Zimmers öffneten sich ihre großen, starren Augen wieder vor dem Tode.
    In dieser Zeit begann Lazare der Geschäfte überdrüssig zu werden. Seine Trägheit stellte sich wieder ein, er verbrachte die Tage im Müßiggang und entschuldigte sich mit seiner Verachtung dieser Geldprotzen. Die Wahrheit war, daß dieses beständige Besessensein vom Tode ihm jeden Tag mehr den Geschmack und die Kraft zu leben raubte. Er verfiel in sein altes: »Wozu nützt es?« Da der letzte Sprung morgen oder heute, vielleicht in einer Stunde da war, warum sich bewegen, sich erregen, mehr an dieser als an jener Sache hängen? Alles scheiterte. Sein Dasein war nur ein langsames, tägliches Sterben, dessen uhrenhaft regelmäßige, immer langsamer werdender Bewegung er wie ehedem lauschte. Das Herz schlug nicht mehr so schnell, die anderen Organe wurden gleichfalls träger, ohne Zweifel stand bald alles still; er verfolgte mit Schaudern diese Verminderung des Lebens, die das Alter verhängnisvoll mit sich brachte. Es waren Verluste seiner selbst, eine dauernde Verheerung seines Körpers; seine Haare fielen aus, es fehlten ihm verschiedene Zähne, er fühlte wie seine Muskeln erschlafften, als kehrten sie zur Erde zurück. Das Herannahen der Vierzig erhielt ihn in einer düsteren Schwermut; das Greisenalter war bald da, um ihn vollends zu vernichten. Er glaubte sich bereits überall krank, irgend etwas zerbrach ganz sicher, seine Tage verstrichen in der fieberhaften Erwartung einer Katastrophe. Dann sah er auch um sich sterben, und jedesmal, wenn er das Dahinscheiden eines Kameraden vernahm, war dies für ihn ein Schlag. War es möglich, auch der ist abgefahren? Aber er war doch drei Jahre jünger und so gebaut, als solle er hundert Jahre alt werden? Auch jener, wie hatte er nur sobald seine Rechnung machen können? Ein so vorsichtiger Mann, der alles abwog, selbst die Nahrung. Zwei Tage hindurch dachte er, über den Fall bestürzt, an nichts anderes; er betastete sich selbst, er prüfte seine Krankheiten und suchte schließlich mit den armen Toten Streit anzufangen. Er fühlte das Bedürfnis sich selbst zu beruhigen, er beschuldigte sie, aus eigener Schuld gestorben zu sein; der erste hatte eine unverzeihliche Unklugheit begangen; der Zweite war einem äußerst seltenen Leiden unterlegen, dem selbst die Ärzte keinen Namen zu geben vermochten. Aber er suchte vergebens das lästige Gespenst zu verscheuchen, er hörte fortwährend in sich das Räderwerk der dem Zerbrechen nahen Maschine knarren, er glitt ohne eine Möglichkeit des Aufhaltens diesen Abhang der Jahre hinab, an dessen Ende der Gedanke an das große schwarze Loch ihn mit kaltem Schweiße bedeckte und ihm die Haare vor Entsetzen sträubte. Als Lazare nicht mehr in sein Büro ging, brachen Streitigkeiten im Hause aus. Er trug eine Gereiztheit mit sich herum, die sich bei dem geringsten Hindernis offenbarte. Das mit so großer Sorgfalt verborgene Übel nahm zu, es gab sich nach außen hin durch Schroffheiten, düstere Stimmungen, wahnwitzige Handlungen kund. Einen Augenblick verzehrte ihn die Furcht vor dem Feuer bis zu dem Punkte, daß er aus dem dritten in den ersten Stock zog, um sich schneller retten zu können, wenn das Haus in Brand gerate. Die beständige Sorge um das Morgen verdarb ihm die gegenwärtige Stunde. Er lebte in der Erwartung eines Unglücks, er fuhr empor, sobald eine Tür heftiger als gewöhnlich zugeschlagen wurde, es befiel ihn heftiges Herzklopfen, sobald er einen Brief empfing. Er mißtraute ferner allem, er verbarg sein Geld in kleinen Summen an verschiedenen Orten, seine einfachsten Pläne hielt er verborgen; er

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