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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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handeln und diesen verfehlten Bund wieder zerreißen? Ihr Zorn wuchs noch immer; sie fühlte, daß sie schöner, kräftiger war; sie beschaute ihre Brust, ihren jungfräulichen Leib mit dem jähen Stolze des Weibes, das sie hätte abgeben können. Eine Gewißheit überkam sie blitzartig: sie hätte Lazare heiraten müssen.
    Jetzt quälte sie ein unermeßliches Bedauern. Die Stunden der Nacht verstrichen eine nach der andern, ohne daß ihr der Gedanke gekommen wäre, sich zu ihrem Bette hinzuschleppen. Ein Traum beschlich sie, die weit geöffneten, von der hohen Flamme des Lichtes geblendeten Augen schauten die Kerze noch immer an, ohne sie zu sehen. Sie befand sich nicht mehr in ihrem Zimmer, sie bildete sich ein, Lazare geheiratet zu haben; und ihr gemeinschaftliches Leben entrollte sich in Bildern von Liebe und Glückseligkeit vor ihr. Es war in Bonneville am Strande des blauen Meeres, vielleicht auch in Paris in einer geräuschvollen Straße; die Ruhe des kleinen Raumes blieb die nämliche, Bücher lagen umher, Rosen blühten auf dem Tische, die Lampe verbreitete am Abend eine blonde Helle, während an der Zimmerdecke Schatten schlummerten. Alle Augenblicke suchten sich ihre Hände, er hatte die sorglose Heiterkeit seiner Jugend wiedergefunden, sie liebte ihn so sehr, daß er schließlich an die Ewigkeit des Daseins glaubte. Um diese Stunde setzten sie sich zu Tische; zu jener gingen sie zusammen aus; morgen würden sie miteinander die Rechnungen durchsehen. Sie fühlte sich bei diesen häuslichen Einzelheiten der Ehe zärtlich werden, sie setzte darein die Haltbarkeit ihres Glückes, das endlich da war, sichtbar, greifbar, von dem heiteren Ankleiden am Morgen bis zum letzten Kuß am Abend. Im Sommer reisten sie. Eines Morgens bemerkte sie, daß sie guter Hoffnung war. Ein großer Schauer aber rüttelte sie aus ihrem Traume auf, weiterging sie nicht, sie befand sich wieder in ihrem Zimmer angesichts der niedergebrannten Kerze. Mein Gott, guter Hoffnung! Die andere war es, ihr wird es nie geschehen; nie wird sie diese Freude kennen lernen! Es war ein so harter Sturz, daß Tränen ihre Augen füllten, daß sie ohne Aufhören weinte und das Schluchzen ihre Brust zu sprengen drohte. Das Licht verlöschte, sie mußte im Dunkeln schlafen gehen.
    Pauline blieb von dieser fieberhaften Nacht eine tiefe Erregung zurück, ein tiefes Mitleid für dieses entzweite Paar und für sich selber. Ihr Kummer schmolz in einer Art ungewisser Hoffnung. Sie hätte nicht sagen können, worauf sie rechnete; sie wagte nicht, inmitten dieser wirren, ihr Herz bewegenden Empfindungen sich Klarheit zu verschaffen. Warum sich so quälen? Hatte sie nicht noch mindestens zehn Tage vor sich? Es war also noch immer Zeit, einen Entschluß zu fassen. Von Wichtigkeit war es, Lazare zu beruhigen, diese Ruhezeit in Bonneville nutzbringend für ihn werden zu lassen. Sie fand ihre Heiterkeit wieder; sie stürzten sich beide noch einmal in ihr schönes Leben von ehemals.
    Mit der Kameradschaft aus ihrer Kindheit begann die Sache.
    »Laß doch dein Drama ruhen, großer Tolpatsch! Es wird ohnehin ausgepfiffen... Komm, hilf mir lieber nachsehen, ob Minouche meinen Knäuel Zwirn nicht auf den Schrank geschleppt hat.«
    Er hielt den Stuhl, während sie auf den Fußspitzen stehend, nachschaute. Der Regen fiel seit zwei Tagen, sie konnten das große Zimmer nicht verlassen. Ihr Lachen ertönte bei jedem Funde aus alten Zeiten.
    »Hier ist die Puppe, die du aus zwei von meinen alten Hemdkragen gemacht hast... Und das hier, erinnerst du dich? Es ist dein Bild, das ich an dem Tage zeichnete, an dem du so häßlich warst und vor Wut weintest, weil ich dir mein Rasiermesser nicht leihen wollte.«
    Sie wettete, noch mit einem Satz auf den Tisch springen zu können. Auch er sprang, glücklich über die Störung. Sein Drama schlief bereits im Schubfach. Als sie eines Morgens die große Sinfonie des Schmerzes entdeckten, spielte Pauline einzelne Stellen daraus und gab mit komischen Gebärden den Takt dazu an; sie spöttelte über sein Werk, er sang die Noten, um dem Klavier nachzuhelfen, dessen verlöschende Töne man überhaupt nicht mehr vernahm. Dennoch stimmte sie ein Teil ernst, der berühmte Totenmarsch nämlich: das war wahrhaftig nicht schlecht, das mußte man aufbewahren. Alles unterhielt sie und stimmte sie weich: eine Florideensammlung, die sie früher aufgeklebt, ein vergessenes Gefäß mit einer in der Fabrik gewonnenen Bromprobe, das winzige, halb zerbrochene,

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