Die Lebenskünstlerin (German Edition)
vielen Klinikaufenthalte nichts genützt. Willst du dich wieder seinen Stimmungsschwankungen aussetzen? Heute liebt er dich, morgen hasst er dich. Lass die Finger von dem .“
Sie schreit regelrecht. Ich bereue zutiefst, dass ich mich ihr anvertraut habe.
„Dieser unreife Taugenichts, dem entgeht doch das Wichtigste im Leben durch seine Unfähigkeit zur Beständigkeit. Dieser Feigling.“ Von ihren Ausführungen will ich nichts weiter hören.
„Ich bin doch nur zum Essen mit ihm verabredet. Um endlich das ganze Beziehungsthema zu Ende zu bringen. Nichts weiter“, beschwichtige ich sie. „Dann kann ich auch wieder einen Neuanfang wagen“, lege ich mit betont ruhiger Stimme nach.
Sie scheint mir nicht glauben zu wollen. Wie denn auch? Ich glaube mir ja selbst nicht.
Innerlich schiebe ich Elenas Einwände gekonnt beiseite und mache mich bald darauf besonders hübsch für diesen Abend. Konrad soll keinesfalls auf den Gedanken kommen, dass ich leide. Stark und selbstbewusst will ich mich zeigen. Dann sieht er vielleicht, was er aufgegeben hat und bereut es bitterlich.
Jeder Mensch hat schließlich die Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln. Vielleicht hat er aus unserer gemeinsamen Vergangenheit gelernt? Schließlich besitzt er doch auch gute Seiten. Er konnte so charmant um mich werben und dann dieser Hundeblick. Manchmal war es richtig schön mit ihm. Als ehemaliger Deutschlehrer wusste er meine Schreibbegeisterung zu würdigen, was dazu beigetragen hat, dass unser gemeinsamer E-Mail-Austausch zu drei dicken Ordnern angewachsen ist.
Dass er seine Arbeit wegen seiner Borderline-Störung aufgeben musste, und dass die E-Mails meistens zur Krisenbewältigung geschrieben wurden, drücke ich nachsichtig und inkonsequent beiseite. Ich gehe mit ihm Essen und dann werde ich sehen. Was habe ich zu verlieren?
Wir spazieren am nahen See entlang. Verkrampft versuche ich, mich an der Abendsonne zu erfreuen, die sich von diesem aufregenden Tag mit wunderbaren Farbtönen verabschiedet.
Ein flammendes Orange wandelt sich langsam aber stetig in verschiedene Rottöne um. Feine, dunkle Wolkenstreifen durchziehen den Himmel. Aufgeregte Vögel zeichnen sich im Flug mit ihren Silhouetten deutlich vom Horizont ab. Ein beeindruckendes Schauspiel.
Konrad fragt mich mit wenigen Worten und emotionsloser Stimme nach meiner Wohnung, nach meiner Arbeit.
Sofort lenke ich meine ganze Aufmerksamkeit auf den Mann neben mir und antworte ihm breitwillig. Natürlich schmücke ich meine Ausführungen bedeutungsvoll aus, verschweige die Einsamkeit und die Langeweile in meinem Leben. Stark und voller Energie präsentiere ich mich. Er soll nicht glauben, dass ich ihm jemals eine Träne nachgeweint habe.
Meine demonstrierte Stärke scheint ihn wirklich zu beeindrucken. Zu sehr benötigt er eine emotionale Tankstelle, wie er sich mal ausdrückte, als dass er meine Show durchschauen würde.
Beim anschließenden Essen berührt er meine Hand, seine Wärme spüre ich im ganzen Körper. Wie sehr vermisse ich Berührungen, mal eine Umarmung, Nähe. Er sieht mich mit seinen grasgrünen Augen durchdringend an. Schweigend und gespannt warte ich auf das nun Folgende.
„Geliebte Selina, es tut mir leid, ich habe dir so unendlich viel Kummer bereitet, dich im Stich gelassen und dann sogar noch unser Zusammenziehen verhindert.“
Sein Gesicht ist angespannt, seine Augen betteln um Verständnis. Bevor er weiterspricht, streicht er sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken.
„Es ist mir durchaus bewusst, dass ich mir immer wieder in meinem Leben aufgrund meiner Störungen und Ängste alles kaputt mache.“
Seine Stimme klingt verzweifelt und kläglich.
Mit einem Mal strafft er seinen gebeugten Oberkörper und umfasst meine Hand nachdrücklicher: „Aber dieses Mal werde ich mich ganz bestimmt im Griff haben, falls du mir jemals noch eine weitere Chance geben solltest.“
Als ich schweige, redet er eindringlich weiter: „Sogar eine erneute Therapie habe ich begonnen. Mein Therapeut meint zwar, ich sei ein hoffnungsloser Fall, der sich immer wieder selbst alles zunichte macht, aber was weiß der schon“, schmunzelt Konrad mich an.
Ich lächle zurück. Er sieht ja seine Schwierigkeiten selbst und leidet darunter, so beteuert er es im Moment jedenfalls.
In meinem Kopf überstürzen sich die Gedanken. Da ist auch die Stimme, die aufschreit und mich warnt: Selina Maler, das hat er alles schon hunderttausend Mal beteuert, um dich
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