Die Lebenskünstlerin (German Edition)
meinen Söhnen.
Wegen des dichten Nebels, und wahrscheinlich auch aufgrund meines beklagenswerten Orientierungssinns, ist es für mich geradezu unmöglich zu erkennen, wo genau sich die neue Wohnung befindet. Wir fahren mehrmals in einem ruhigen Wohnviertel auf und ab, doch ich finde keinen eindeutigen Anhaltspunkt.
Während dieser planlosen Suche spüre ich endlich wieder unsere alte Verbundenheit, eine liebevolle Sympathie zwischen uns Dreien. Wir lachen zusammen, sind entspannt und gelöst. Was habe ich diese Momente vermisst.
„Du hast eine Wohnung gekauft und weißt nicht genau, wo sie ist“, stellt Tim fröhlich fest. Seine Abenteuerlust ist offensichtlich geweckt. Ich beschreibe Anhaltspunkte, da ich mir noch nicht mal die Anschrift notiert habe. Mit einer unendlichen Geduld finden wir letztlich das gesuchte Schild, das mir noch diffus in Erinnerung geblieben ist. Hier muss es sein.
Wir steigen aus und sehen uns die Klingelaufschriften an. Sie kommen mir bekannt vor. Angeblich lauter ordentliche Leute. In diesem Haus werde ich nun bald wohnen. Dann wird hier Selina Maler stehen. Ich begreife es immer noch nicht ganz.
Meine gelöste Stimmung weicht einem beklemmenden Gefühl. Sofort spüre ich wieder diese Angst, die mein Inneres zusammen schnürt. Angst vor der Zukunft, Angst vor dem Alleinsein. Angst vor wirtschaftlicher Ungewissheit, Angst vor meiner eigenen Entscheidung, diese Wohnung hier gekauft zu haben. Ich schlucke schwer und vermeide, mir meine Gefühle anmerken zu lassen.
Nachdem ich mich von meinen Söhnen herzlich verabschiede, fahre ich zurück nach Hanau, um die letzte Nacht allein in der kahlen Wohnung zu verbringen. Hier wirkt alles entsetzlich ungemütlich und kalt. Die Matratze meines Bettes steht hochkant an der Wand. Ich zerre sie hinter den vielen Kisten hervor und nehme ein paar Umzugsdecken zum Schlafen, da ich zu müde bin, um nach dem verpackten Bettzeug zu suchen. Ich friere entsetzlich und heule mich in einen unruhigen Schlaf.
Früh am Morgen hole ich den Garagenschlüssel im Maklerbüro ab und quittiere dessen Empfang bei einer mütterlich wirkenden Dame.
Während des ganzen Tages deponiere ich mühsam meine wichtigsten Schätze in der geräumigen Garage. Ich lasse gerade soviel Platz frei, dass ich mit dem Auto noch hinein fahren kann.
Den Rest meiner Habseligkeiten verstaut Tim in seinen Kellerräumen. Mitfühlend bietet er mir Dusch- und Waschgelegenheiten in seiner Wohnung an. Natürlich könnte ich auch bei ihm nächtigen, doch das Appartement ist schon für zwei Personen zu eng. Ich behaupte, dass ich bei einer Freundin schlafe und drücke ihn innig zum Abschied. Leider ist der finanzielle Rahmen mit dem Kauf der Wohnung dermaßen gesprengt, dass ein Pensionsaufenthalt unmöglich erscheint.
Am späten Abend, im Schutze der Dunkelheit, fahre ich meinen Kombi in die unbeleuchtete Garage und breite mein Bettzeug im Heck aus. Dadurch, dass sich die hinteren Sitze gänzlich umklappen lassen, ist die Liegefläche ausreichend für mich.
Keinesfalls will ich, dass jemand von den Anwohnern mitbekommt, dass und wie ich hier hause. Überhaupt, das ist nur meine Angelegenheit.
Aus ein paar Tagen werden eine Woche. Zwei, drei Wochen. Ich wärme mich in Kaufhäusern und Supermärkten und bei meinen Söhnen auf. Während sie arbeiten, schlafe ich meist in Tims Ohrensessel, da ich in der Garage kaum zur Ruhe komme. Bei fortgeschrittener Dämmerung schleiche ich heimlich in mein vorübergehendes Zuhause. Die Kälte ist fast so schlimm wie die Scham.
Endlich wird der Notartermin anberaumt und am gleichen Tag werkeln die Handwerker in meiner künftigen Wohnung, um Parkett zu verlegen, neue Tapeten anzubringen und das Badezimmer völlig neu zu gestalten.
Die Nächte in der kalten Garage gehören nun endlich der Vergangenheit an.
Blass und müde sitze ich auf meinem Bett in der neu renovierten hellen Wohnung. Es ist alles hübsch geworden, ich könnte zufrieden sein.
Abgesehen davon, dass bald mein ganzes Geld verbraucht ist, ich keine Arbeit habe, meine Beziehung zerbrochen ist und die seelischen Wunden noch lange nicht verheilt sind, könnte ich doch endlich zufrieden sein. Meine erste eigene Wohnung. Nur meine.
Ich kann tun und lassen was ich will. Keiner, der mich bevormundet. Niemand, der an mir herummäkelt. Ich kann meine vielen Bücher sogar im Badezimmer verteilen. Selbst das große Engelbild mit dem breiten goldenen Rahmen von meiner Großmutter
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