Die Legende
nicht gekümmert hatte.
Und Joacim mochte ihn.
Er kam an einem Drenaiwächter vorbei, der salutierte und lächelte. Joacim nickte; er bemerkte die Unsicherheit in diesem Lächeln.
Er hatte dem Bronzegrafen gesagt, daß er und seine Männer noch einen Tag bleiben und dann in die Berge zurückkehren würden. Er hatte erwartet, daß man ihn anflehte zu bleiben – mit Angeboten, Versprechungen, Verträgen. Aber Rek hatte nur gelächelt.
»Das ist mehr, als ich verlangen könnte«, sagte er.
Joacim war verblüfft, aber er konnte nichts sagen. Er erzählte Rek von dem Verräter und dem Versuch der Nadir, die Berge zu überqueren. »Wirst du weiter den Weg blockieren?«
»Natürlich. Es ist Sathuli-Land.«
»Gut! Willst du mit mir essen?«
»Nein, aber ich danke dir für dein Angebot.«
Kein Sathuli konnte das Brot mit einem Ungläubigen brechen.
Rek nickte. »Ich glaube, ich werde mich ein wenig ausruhen«, sagte er. »Ich sehe dich morgen früh.«
In seinem hochgelegenen Zimmer in der Inneren Festung schlief Rek und träumte von Virae – immer von Virae. Er erwachte Stunden vor Morgengrauen und tastete nach ihr. Aber die Laken neben ihm waren kalt, und wie immer spürte er den Verlust von neuem. In dieser Nacht weinte er, lange und lautlos. Endlich stand er auf, zog sich an und stieg die Treppe zur Kleinen Halle hinab. Arshin, der Diener, brachte ihm ein Frühstück aus kaltem Schinken und Käse, dazu einen Krug mit kaltem Wasser, gewürzt mit Honig. Er aß mechanisch, bis ein junger Offizier die Nachricht brachte, daß Bricklyn mit den Botschaften aus Drenan zurückgekehrt sei.
Der Bürger betrat die Halle, verbeugte sich kurz und ging zum Tisch, auf den er mehrere Päckchen und eine große, versiegelte Schriftrolle vor Rek legte. Er setzte sich Rek gegenüber und fragte, ob er etwas zu trinken haben dürfte. Rek nickte, während er die Schriftrolle öffnete. Er las sie einmal, lächelte, dann legte er sie beiseite und sah den Bürger an. Er war dünner und vielleicht sogar etwas grauer als bei ihrer ersten Begegnung. Er trug noch immer Reitkleidung, und sein grüner Mantel war staubbedeckt. Bricklyn trank das Wasser in zwei langen Zügen und füllte seinen Becher erneut; dann merkte er, daß Reks Blick auf ihm ruhte.
»Du hast die Nachricht von Abalayn gelesen?« fragte er.
»Ja. Danke, daß du sie mir gebracht hast. Wirst du bleiben?«
»Aber natürlich. Kapitulationsvereinbarungen müssen getroffen und Ulric in der Festung willkommen geheißen werden.«
»Er hat versprochen, niemanden zu schonen«, sagte Rek leise.
Bricklyn wedelte mit der Hand. »Unsinn! Das ist Kriegsgerede. Jetzt wird er großzügig sein.«
»Und was ist mit Wundweber?«
»Er ist nach Drenan zurückgerufen und die Armee entlassen worden.«
»Freut dich das?«
»Daß der Krieg vorüber ist? Natürlich. Obwohl ich selbstverständlich traurig bin, daß so viele sterben mußten. Ich hörte, daß Druss auf Sumitos fiel. Ein großer Verlust. Er war ein guter Mann und ein hervorragender Krieger. Aber ich bin sicher, daß er so gehen wollte. Wann möchtest du, daß ich zu Ulric gehe?«
»Sobald du willst.«
»Wirst du mich begleiten?«
»Nein.«
»Wer dann?« fragte Bricklyn und sah mit Vergnügen die Resignation in Reks Gesicht.
»Niemand.«
»Niemand? Aber das wäre politisch nicht klug, Graf. Es sollte eine Abordnung geschickt werden.«
»Du wirst allein gehen.«
»Also schön. Welche Bedingungen soll ich aushandeln?«
»Du wirst gar nichts aushandeln. Du wirst lediglich zu Ulric gehen und sagen, daß ich dich geschickt habe.«
»Das verstehe ich nicht, Graf. Was soll ich denn sagen?«
»Du wirst ihm sagen, daß du versagt hast.«
»Versagt? Inwiefern? Du sprichst in Rätseln. Bist du verrückt geworden?«
»Nein. Nur müde. Du hast uns verraten, Bricklyn, aber von deiner Sorte erwarte ich nichts anderes. Deswegen bin ich auch nicht zornig. Du hast Ulrics Bezahlung angenommen, und jetzt kannst du zu ihm gehen. Der Brief von Abalayn ist eine Fälschung, und Wundweber wird in fünf Tagen mit über fünfzigtausend Mann hier sein. Draußen stehen dreitausend Sathuli, und wir können die Mauer halten. Und jetzt verschwinde! Hogun weiß, daß du ein Verräter bist, und er hat mir gesagt, daß er dich töten wird, wenn er dich sieht. Geh jetzt.«
Einige Minuten blieb Bricklyn wie betäubt sitzen; dann schüttelte er den Kopf. »Das ist doch Wahnsinn! Ihr könnt nicht aushalten! Es ist Ulrics Tag, seht ihr das denn
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