Die Legende der Wächter 10: Der Auserwählte (German Edition)
offenbart.
Hatte Gränk sich in ihm getäuscht? War Hoole doch nicht der Retter, den die Eulenwelt so dringend nötig hatte? War er vielleicht nur aufgrund seiner Abstammung ein Königssohn, nicht aber von seinem Magen und seinem Charakter her? Würde sein Ga’ niemals zu voller Entfaltung gelangen, sondern wie bei den meisten Eulen ein Leben lang vor sich hinschlummern?
Wenn Gränk so entmutigt war, gab es nur eines, das ihn wieder hoffen ließ – der Gedanke an den Baum auf der Insel im Südmeer. Der Schössling war in ein paar Stunden so hoch gewachsen wie gewöhnliche Bäume in einem ganzen Jahr. Das hatte Gränk sich nicht eingebildet. Theo und Phineas hatten es auch gesehen. Seltsamerweise hatte Gränk nie mit den anderen über dieses Wunder gesprochen. Es war, als könnte sich der Baum in Luft auflösen, wenn sie ihn erwähnten.
Svenka setzte Dunleavy nördlich der Eiszehen-Halbinsel ab. Von dort war es noch ein weiter Landweg bis zu Arrin und seinen Truppen. Die Eisbärin verriet Dunleavy nicht, dass er auf dem Wasserweg schneller vorankommen könnte. Sie selbst kannte eine Abkürzung, die ihr einen Vorsprung verschaffen würde.
Svenka wollte einen Freund besuchen. Er hieß Svarr und war der Vater ihrer beiden Kinder. Svarr lebte ganz in der Nähe von Arrins Festung. Als Dunleavy außer Sichtweite war, ging Svenka an Land.
„Was machst du denn hier? Es ist doch gar keine Paarungszeit. Ich bin noch nicht in Stimmung“, begrüßte Svarr sie.
„Red keinen Unsinn“, gab Svenka zurück. „Deswegen bin ich nicht hergekommen.“
„Weshalb denn sonst?“
„Na ja … du kannst das vielleicht nicht verstehen. Du bist ein Männchen. Kinder bedeuten dir nicht viel.“
„Stimmt. Das überlasse ich den Müttern.“
„Besser so.“
„Bist du denn trächtig geworden? Wie viele Jungen sind es?“
„Drei. Eins ist gestorben, aber die beiden anderen wachsen und gedeihen.“
„Freut mich. Jetzt aber raus mit der Sprache – was willst du von mir?“
„Ich habe mich mit einer Eule angefreundet. Meine Freundin macht sich große Sorgen um ihren Sohn. Sie hat Angst, dass Arrin und seine Dämonen ihn entführen wollen.“
„Diesen Arrin kann ich nicht leiden. König H’rath dagegen – das war ein feiner Kerl. Schade, dass er tot ist. Arrins Offiziere wollen offenbar ein großes Heer aufstellen. Sie versuchen, H’raths verbliebene Krieger zu überreden, die Seite zu wechseln. Ich weiß nicht, was Arrin vorhat, aber ich traue ihm alles zu.“
„Das geht meiner Freundin genau so. Sie würde sehr gern wissen, was Arrin für Pläne schmiedet.“ Svenka hatte Svarr eigentlich nicht einweihen wollen, aber vielleicht gab es keine andere Möglichkeit. Er war ein gutmütiger Bursche und hatte H’rath aufrichtig gern gehabt. Er hatte sich nur deshalb so dicht bei Arrins Festung niedergelassen, weil es dort viele Robben gab.
„Kannst du ein Geheimnis für dich behalten, Svarr?“
„Wem soll ich es schon weitererzählen? Du bist die Einzige, die einmal im Jahr vorbeikommt.“
„Ach ja? Was ist mit … wie heißt sie doch gleich … mit Svaala?“
„Die ist gestorben.“
„Das tut mir leid.“
Svarr zuckte gleichgültig die Schultern. „Und was ist das nun für ein Geheimnis?“
Svenka erzählte ihm, dass es sich bei ihrer Eulenfreundin um Königin Siv handelte und dass Sivs Sohn in den Hinterlanden aufwuchs. „Unter den Wölfen dort gibt es einen Verräter.“
„Du bist mit Königin Siv befreundet? Donnerwetter! Da hast du’s ja wirklich zu was gebracht in der Welt.“
Svenka war entrüstet. „Ich habe meinen Platz in der Welt auch schon behauptet, bevor ich Siv kennengelernt habe! Dass sie eine Königin ist, spielt für mich keine Rolle. Ihre Freundschaft bedeutet mir hundertmal mehr als ihr hoher Rang.“
Jetzt hat sie’s mir aber gegeben! Mit Worten konnte Svenka mich immer schon schlagen. „Soll ich den Wolfsverräter abfangen? Ist es das, was du von mir willst?“
„Erst einmal wüsste ich gern, was der Wolf Arrin für Neuigkeiten überbringt und was Arrin daraufhin unternimmt. Gibt es hier in der Nähe ein erkaltetes Spundloch?“
Wenn einem Spundloch keine warme Luft mehr entströmte, ließen sich Eisbären gern darin nieder. Die bequemen Mulden im Eis hatten aber noch einen anderen Vorzug: Dort sammelten sich die nahen und fernen Geräusche der Umgebung. Um jemanden zu belauschen, gab es keinen besseren Ort.
„An Spundlöchern herrscht in dieser Gegend kein Mangel“,
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