Die Legende der Wächter 10: Der Auserwählte (German Edition)
Das war doch ein Wolf! Aber kein gewöhnlicher Wolf, sondern ein dreimal so großes Tier. Das muss ein Urzeitwolf sein! Urzeitwölfe gab es nur noch an einem einzigen Fleck auf der Welt und das waren die Hinterlande.
Siv hatte ein ungutes Gefühl im Magen. Aber Rolf und Anka sollten sich nicht noch mehr fürchten. Siv riss sich zusammen und sagte: „Willkommen.“
Der Wolf knurrte etwas Unverständliches.
„Warum hast du nur noch ein Auge?“, wollte Rolf wissen.
„So was fragt man nicht“, sagte seine Schwester. „Das ist unhöflich. Stimmt’s, Tante?“
Doch der Wolf ging auf die Frage ein. „Dir ist aufgefallen, dass ich halb blind bin, hä?“, knurrte er.
„Äh … ja …“, erwiderte Rolf eingeschüchtert und schielte zu Siv hinüber.
„Ein böser, böser Wolf hat mir das andere Auge herausgerissen.“
„Und wie hieß der böse Wolf?“
„Fengo.“
Fengo! Das ist doch Gränks bester Freund. Hier stimmt etwas ganz und gar nicht. Wenn doch nur Svenka hier wäre!
Siv besann sich auf ihre königlichen Manieren. Sie tat so, als wäre es ganz alltäglich, dass ein Urzeitwolf triefend aus dem Meer stieg.
„Du hast bestimmt Hunger. Wie wär’s mit frischem Fisch? Ich hätte auch noch Lemminge von gestern.“
„Vielen Dank, Gnädigste“, sagte Dunleavy. Er freute sich über Sivs Zuvorkommenheit. Seine Gefährtinnen ließen diese leider oft vermissen. Anscheinend erziehen die Eulen ihre Weibchen besser als wir Wölfe unsere.
Die Lemminge waren erstaunlich schmackhaft, fand er. „Noch einen?“, fragte Siv, obwohl sich ihr Vorrat bereits dem Ende zuneigte. Aber so ein Wolf konnte offenbar mehr verdrücken als fünf Eulen zusammen. „Möchtest du etwas trinken? Ich habe Bingelsaft da.“
„Bingelsaft? Nie gehört.“
„Bingelsaft schmeckt lecker!“, plapperte Rolf los. „Man darf bloß nicht zu viel …“
Siv sah den jungen Eisbären scharf an und er verstummte. Sie hatte dem Wolf den vergorenen Beerensaft nicht ohne Hintergedanken angeboten. Vielleicht löste ihm das Getränk ja die Zunge und er erzählte, was ihn herführte.
Sie goss einen großen, aus Eis gemeißelten Becher randvoll. „Diese Insel ist berühmt für ihre besonders süßen Bingelbeeren.“
Der Wolf trank den Becher auf einen Zug leer und leckte sich genüsslich die Schnauze. Dann gähnte er. „Ich bin völlig erledigt. Die Strömung war stärker, als ich gedacht hatte. Ich wurde abgetrieben.“
Wo wollte er denn hin? „Noch einen Becher Saft?“
Drei Becher später kam Svenka endlich zurück. Der Wolf hatte sich als Dunleavy MacHeath vorgestellt und war inzwischen ziemlich beschwipst. Lallend beklagte er sich über seine Gefährtinnen. „Sie sind ein fauler Haufen. Sie haben keinen Respekt vor mir.“
„Wir haben Besuch, Svenka. Dunleavy kommt aus dem Süden, aus den Hinterlanden.“ Siv warf der Eisbärin einen vielsagenden Blick zu. „Er hat nur noch ein Auge, weil ihm ein gewisser Fengo das andere herausgerissen hat.“ Siv hatte Svenka von Gränks Wolfsfreund erzählt. „Dunleavy hat auch berichtet, dass sich eine Gruppe Eulen in den Hinterlanden aufhält. Die Strömung hat ihn an die Küste unserer Insel abgetrieben. Er wollte eigentlich weiter nördlich an Land gehen.“
Svenka verstand sofort, was los war. Sie begrüßte Dunleavy herzlich. Er konnte kaum noch verständlich sprechen. „Die Weibchen hier im Norden sind so … so …“ Er kippte um und blieb schnarchend liegen.
„Ihr passt auf ihn auf, Kinder“, sagte Svenka. „Ich muss kurz allein mit Tante sprechen. Gebt uns Bescheid, wenn er wieder wach wird.“
Svenka und Siv begaben sich außer Hörweite. „Ich wette, er will zur Reißzahnbucht“, sagte Siv. „Zu Arrin.“
„Wie kommst du darauf?“
„Bevor du dazugekommen bist, hat er schon einiges erzählt. Er hat darüber geschimpft, dass er von den anderen Wölfen nicht richtig respektiert wird. Aber ein sehr mächtiger Eulerich hat ihm seine Unterstützung angeboten. Dunleavy soll ihm dafür Informationen liefern. Er will dem mächtigen Eulerich melden, dass in den Hinterlanden etwas sehr Wichtiges in einem Vulkankrater liegt. Was das ist, habe ich leider nicht verstanden. Er hat ja kaum noch ganze Sätze gesprochen. Aber er hat nichts Gutes im Sinn, so viel steht fest.“
Svenka nickte bedächtig. „Trotzdem würde ich mich gern vergewissern, ob deine Befürchtungen begründet sind.“
„Wie willst du das anstellen?“
„Ich könnte dem Wolf zum Beispiel
Weitere Kostenlose Bücher