Die Legende der Wächter 10: Der Auserwählte (German Edition)
hielt gerade Mittagsschlaf. Gränk musste ihn wecken. „Was gibt’s?“, fragte Fengo.
„Ich habe Feuer gemacht.“
Fengo setzte sich auf. „Was hast du gesehen?“
„Zwei Wölfe, die zur Stummelkrallenspitze laufen.“
„Das ist der Landweg nach N’yrthgar.“
„Nicht ganz. Ein Stück muss man auch schwimmen.“ Vor allem, falls die beiden zu Arrin wollen, dachte Gränk. Dann müssen sie die Reißzahnbucht durchqueren. Auf dem Landweg dauert es zu lange. „Ich glaube, die beiden wollen unseren Aufenthaltsort verraten. Aber wozu, beim Glaux? Was könnten deine Artgenossen für ein Interesse daran haben?“
Fengo überlegte. Schließlich stand er auf. „Flieg in eure Schlafhöhle, Gränk. Wenn ich Näheres herausgefunden habe, komme ich dich wecken.“
Natürlich konnte Gränk nicht einschlafen. Das machte aber nichts, denn schon nach kurzer Zeit kam Fengo hereingestürmt. „Tut mir leid, dass du nur so kurz schlafen konntest!“
„Ich habe gar nicht geschlafen“, sagte Gränk.
Theo und Phineas öffneten blinzelnd die Augen. Nur Hoole schlummerte selig weiter. Wahrscheinlich träumte er von bergeweise Rums-Glut.
„Was ist denn los?“, fragte Phineas.
„Unter meinen Wölfen gibt es einen Verräter – nein, zwei. Sie haben sich nach Norden aufgemacht.“
Hoole war wach geworden. „Wer sind die beiden?“
„Dunleavy MacHeath und die alte Horda. Ich hab doch gleich gewusst, dass Horda mich bespitzeln sollte.“ Fengo schäumte vor Wut.
„Aber warum? Hier passiert doch nichts Spannendes“, sagte Hoole verwundert. Gränk und Fengo wechselten einen betretenen Blick.
„Na ja … es ist schon ungewöhnlich, dass sich mehrere Eulen so lange in den Hinterlanden aufhalten“, sagte Gränk rasch. „Und was wir hier treiben, ist auch nicht gerade alltäglich: Glut sammeln, Feuer machen und natürlich Theos Schmiedekünste. Ich könnte mir schon vorstellen, dass das gewisse Eulen in N’yrthgar interessiert.“
„Meinst du Fürst Arrin und seine Anhänger?“
„Du hast es erfasst.“
„Für solche Auskünfte kann man hohe Belohnungen fordern“, warf Fengo ein.
„Horda ist keine Verräterin“, sagte Hoole entschieden.
„Woher willst du das wissen?“
„Das kann ich nicht erklären. Ich weiß es einfach.“
„Wenn du es uns nicht erklärst, können wir dich auch nicht ernst nehmen“, gab Fengo zurück. Sein herablassender Ton ärgerte Hoole.
„Ich weiß es, so wie ich seit unserer Rentierjagd weiß, wie Wölfe denken. So wie meine Flügel auf einmal wussten, wie sich ein Vierbeiner bewegt. Wenn ich sage, ich weiß es, dann ist es so!“
Gränk war insgeheim mächtig stolz auf seinen Schützling. So sprach kein trotziger Grünschnabel, so sprach ein selbstbewusster junger Eulerich, dessen Ga’ sich regte.
So spricht ein Prinz!
Siv war zur Schwarzhuhninsel geflogen. Dort hatte sie sich mit Svenka verabredet. Auf der Insel war man vor Dämonen sicher, denn das Meer war hier im Sommer nahezu eisfrei.
Wie durch ein Wunder hatte Siv bei dem Gefecht in der Bucht keine Verletzungen davongetragen. Hoffentlich war Hoole ebenfalls unversehrt geblieben! Siv ging davon aus, dass ihr Sohn geflohen war. Sie hatte noch gesehen, wie Gränk und zwei andere Eulen Hoole zu Hilfe gekommen waren. Gränk und der Uhu hatten an den Füßen seltsame Krallen getragen, die wie Eisklingen blitzten. Trotz aller Sorgen war Siv aber auch froh. Endlich habe ich meinen Sohn gesehen. Ich habe sogar mit ihm gesprochen!
Svenkas Kinder waren in der Zwischenzeit tüchtig gewachsen. Wenn Svenka sich auf die Hinterbeine stellte, reichten ihr Rolf und Anka schon bis zum Bauch. Die beiden waren aber immer noch tapsig und verspielt.
Siv zog oft mit ihnen zum Beerenpflücken los. Fischen hatten die Eisbärenkinder auch gelernt. Sie schwammen inzwischen genauso gut wie ihre Mutter. Siv sah wieder vor sich, wie Hoole untertauchte und mit einem Fisch in den Krallen wieder aus dem Wasser schnellte. Für einen Fleckenkauz war das sehr ungewöhnlich. Eigentlich tauchten nur Fischuhus derart mühelos. Hoole schien immer genau zu spüren, wo sich die Fische aufhielten.
Ängstliches Jaulen riss Siv aus ihren Gedanken. „Was ist denn los?“, rief sie.
„Komm bitte mal, Tante!“, antwortete Rolf. Svenka war nicht da. Sie war auf Robbenjagd.
Siv flog zu den Eisbärenkindern hinüber, die ein Stück weiter weg im Wasser herumgetollt hatten. Sie traute ihren Augen kaum: Ein tropfnasser Vierbeiner kletterte aus dem Meer.
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