Die Legende der Wächter 10: Der Auserwählte (German Edition)
erwartete sie den Angriff ihrer Feinde. Die Fleckenkäuzin hieß Siv und war die Königin von N’yrthgar. Der Dolch hatte ihrem Gatten H’rath gehört, dem König von N’yrthgar. H’rath lebte nicht mehr. Er war in einer Schlacht gefallen.
Die Schar der Feinde wurde von dem gewissenlosen Fürsten Arrin angeführt. Er befehligte eine Meute Hägsdämonen. Hägsdämonen waren nicht sehr klug und ihre Muskelmägen waren verkümmert. Sie verfügten jedoch über Zauberkräfte. Die stärkste Waffe war das gelbe Licht ihrer Augen, das ihre Gegner lähmte. Ausgerechnet Fürst Arrin, der einst König H’raths Verbündeter gewesen war, hatte sich mit diesen Ungeheuern zusammengetan.
Siv fürchtete den Tod nicht. Aber wenn sie schon sterben musste, dann im Kampf. Allerdings konnte sie nur mit einem Flügel kämpfen. Der andere war seit einem früheren Überfall der Hägsdämonen verstümmelt.
Fürst Arrin landete vor ihr. „Das ist nicht Euer Ernst, Herrin.“
„Das ist mein voller Ernst. Zurück!“
„Aber meine Liebe …“
„Ich bin nicht Eure Liebe!“
„Schon gut, schon gut … Ich habe doch nur Euer Wohl und das Eures Kindes im Sinn. Schließt Euch unserem Bündnis an, Herrin. Werdet Königin der Hägsdämonen! Hier sind schon Eure Untertanen.“ Er wies mit dem Flügel auf die Dämonen, die immer näher kamen.
„Niemals!“
Während Siv mit Arrin sprach, spürte sie ganz deutlich, dass in einem anderen Teil des Landes schon bald ein Küken schlüpfen würde. Aber nicht irgendein Küken, sondern ihr eigenes – der Thronerbe von N’yrthgar. Siv war entschlossen, ihren Sohn vor dem machtgierigen Fürsten und seinen Helfershelfern zu beschützen.
„Ist Euer Küken übrigens inzwischen geschlüpft?“, fragte der Fürst, als könnte er Gedanken lesen.
Siv schwieg.
„Wo habt Ihr Euer Ei versteckt?“
Keine Antwort.
Siv hatte ihr Ei ihrem besten Freund Gränk anvertraut. Gränk hatte das Ei in einen fernen Wald gebracht. Viele Flugstunden trennten Siv von ihrem Sohn, aber sie fühlte sich ihm trotz der Entfernung zutiefst verbunden.
Der Mond verdunkelte sich. Der Fürst fuhr erschrocken zusammen. Die Dämonen, die über dem Fjord kreisten, kreischten vor Entsetzen. Ein gewaltiger Schatten schluckte das gelbe Leuchten ihrer Augen. Sie legten die Flügel an und landeten. Ihr kohlschwarzes Gefieder hob sich von dem Weiß der Eisfläche ab.
Hier sind Kräfte am Werk, die stärker sind als jede Hägsmagie , dachte Siv. Aber es sind keine Zauberkräfte. Zum Glück sind die Dämonen zu beschränkt, um das zu begreifen. Der Mond verdunkelt sich, weil sich die Erde zwischen ihn und die Sonne schiebt. Gleich wird es stockfinster sein. Das ist meine Chance! Hoffentlich wird mir mein kaputter Flügel nicht zum Verhängnis.
Als das Mondlicht endgültig erlosch, war es einen Augenblick lang totenstill. Dann krachte es donnernd.
„Der Mond schlüpft aus seiner Schale!“, schrie einer der Dämonen.
Dummköpfe! , dachte Siv.
Was da krachte, war nicht der Mond, sondern die Eisdecke über dem Fjord. Die Eisbärin Svenka streckte den Kopf durch einen breiten Riss. Die Schollen schoben sich übereinander. Wasser schwappte auf ihre Oberfläche.
„Spring auf!“, rief Svenka.
Siv flatterte auf den Rücken ihrer Freundin und duckte sich in Svenkas dichtes Nackenfell. Die Eisbärin paddelte los.
Siv drehte sich um. Der vorderste Hägsdämon schlitterte heulend ins Wasser. Keiner seiner Kameraden kam ihm zu Hilfe. Hägsdämonen fürchten das Salzwasser wie nichts anderes auf der Welt. Sie können ihr Gefieder nicht einfetten, sodass es Wasser abweisend wird. Das Salzwasser dringt ihnen bis auf die Haut. Ihre Federn vereisen und sie werden flugunfähig. Darum versuchten die anderen Hägsdämonen jetzt panisch, sich in die Lüfte zu schwingen. Nur dreien gelang es. Zwei Dämoninnen landeten mit grässlichem Geschrei im Fjord.
Hoffentlich ist eine der beiden Ygryk! , flehte Siv stumm. Gütiger Glaux, bitte mach, dass Ygryk mich nicht länger verfolgt!
Auch auf einer abgeschiedenen Insel im Bittermeer verfinsterte sich der Mond. Drinnen in der Baumhöhle aber war es taghell. Das leuchtende Ei rollte noch einmal hin und her. Dann bebte es heftig und brach auf. Der Fleckenkauz Gränk hielt den Atem an. Sein Gehilfe, der junge Uhu Theo, stand hinter ihm. Auch er beobachtete mit offenem Schnabel, wie ein feuchtes, federloses Bündel aus der Schalenhälfte purzelte.
Das Bündel blieb auf den weichen Dunen liegen, mit
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